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Drift

Drift

Titel: Drift
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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machen, und wenn es Sterben sei für dieses Land, wenn es denn das sei, was geschehen müsse, dann solle es eben so sein, Punkt, aus, Amen.
     
    Ob es die wirre Unverblümtheit oder das junge, bleiche Gesicht ist, man wird nicht erschossen, sondern nach dem Pass gefragt und man zieht ihn langsam aus der Jackentasche, zeigt ihn und ist froh, dass das Militär nichts von Versicherungen wissen will; kaum sind die Dokumente besehen, die Nummer am Wagen mit den Papieren verglichen und die Besitzer desselben eruiert, fährt man vor einem schwarzen Opel einem schwarzen Golf hinterher, runter von der |30| Hauptstraße, hinunter zur Küste, zum Fähranlegeplatz des kleinen, alten Häfchens eines nach einer Familie benannten Anhängsels von Senj, wo man den Wagen abstellt und vor zwei immer mal wieder erinnernd in die Rippen gestoßenen Gewehrläufen runter bis auf Meereshöhe geht bis vor ein Haus mit einer schweren Holztüre, auf die im Code geklopft wird – Klopfcode, denkt man, und wie alt diese Methode doch ist, und dann wütend: Wie zum Henker war der Rhythmus noch mal – zwei, eins, zwei, zwei, zwei oder eins, drei, eins, eins –, man hat ihn sich nicht gemerkt; nutzloses, besoffenes, bekifftes Hirn, Scheiße noch mal.
    Schlüssel-, Scharnierquietschen und Holzknarren, Gewehrlauf zielgenau in die Wirbelsäule gestoßen und der Befehl »Los!«, und man wird geschubst, hinein in das zu einem provisorischen Militärstützpunkt umfunktionierte Wohnzimmer eines Privathauses, wo an einem riesigen Holztisch zwölf oder vierzehn Soldaten sitzen und nach dem Abendessen schwarzen Kaffee trinken und Zigaretten rauchen: Die Türe donnert hinter einem zu und man wundert sich über das eigene Wundern über die verwunderten Blicke, die doch nur natürlich sind, und das nicht nur, weil man mittlerweile so müde und ausgebrannt ist, dass man sich kaum mehr auf den Beinen halten mag und aussehen muss wie frisch aus dem Grab; die erstaunten Augenpaare lassen einen deutlich spüren, dass ihre Besitzer bereits gehört haben, aus welchen Gründen man hier ist, und sie fragen wort- und verständnislos und mit dicken Schatten unter den Augen: Warum zum Teufel, was soll das und ob man eigentlich den Verstand verloren habe …
     
    Man solle sich setzen, wird einem gesagt und dann die Frage, die man zu allerletzt als allererste erwartet hätte, nämlich, ob man hungrig sei, und man sagt ja, wie ein Wolf: Man bekommt Brot, Käse und Speck vorgesetzt und schaut sich die Leute an, die man gern Landsleute nennen würde – sie noch müder und ausgebrannter als man selbst, und man sagt, man habe eine halbe Flasche Whisky |31| im Auto und ob man ihnen einen Schluck anbieten dürfe; zuerst essen, dann könne man den Whisky gerne holen, lautet die Antwort.
    Also isst man brav, trinkt dazu ein Glas kalte Bevanda und beantwortet die restlichen Fragen, die dank dem mit Wasser gemischten Weißwein, einheimischem Speck, Käse und Brot einfacher zu beantworten sind, und die Fragen sind direkt, geradezu unanständig direkt, aber so ist man selbst, denkt man, und im Krieg fallen direkte Fragen vermutlich noch etwas direkter aus, und man antwortet ebenso ehrlich und direkt, gesteht, dass man Probleme hat und die Schnauze voll von dem Land und den Leuten und der Freundin dort oben im Norden, wo einen nichts mehr hält, man wolle zurück, nach Hause, oder dorthin, wo das Herz sich zu Hause fühlt, man wolle helfen, wolle kämpfen, wolle endlich etwas Sinnvolles mit diesem sinnlosen Leben anfangen.
    Ob man den Verstand verloren habe, wird man gefragt, mehrstimmig und jetzt laut und geradeheraus; man habe doch alles, was man sich nur wünschen kann.
    »Alles, außer gesundem Menschenverstand!«, sagt einer und beginnt tatsächlich, einem zu erklären, in was für einem Land man dort oben lebe, nämlich in einem Land, in dem man mit einer guten Ausbildung eine gute Stelle finden könne, studieren solle man und arbeiten und eine Familie gründen und glücklich sein. Allgemeine Zustimmung. Aber man schüttelt nur müde den Kopf.
    »Was willst du hier, Junge?«, fragt ein anderer. »Was willst du in dieser Sauerei von einem an Wahnsinn und Sinnlosigkeit nicht zu übertreffenden Krieg? Den Heldentod sterben?« Das hätten andere schon für einen übernommen, sagt er, da sei nichts mehr zu holen. Erst recht nicht für einen, der hier nichts verloren habe, weder Frau noch Kinder noch sonst wen oder was.
    »Geh nach Hause, Kleiner! Schlaf dich aus und fahr morgen
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