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Drift

Drift

Titel: Drift
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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der Gegenwehr fährt man im roten Sonnenuntergang dem Meer entgegen, wo man natürlich nicht ankommt, zumindest nicht so, wie man sich das vorgestellt hat.
     
    Senj ist schon immer ein besonderer Ort gewesen, einerseits, weil man dort immer anhielt, um auf die Toilette zu gehen, etwas zu trinken, Eiscreme zu schlabbern und zum ersten Mal im Jahr die Füße ins Meer zu tunken, andererseits, weil da die Burg der Roten Zora steht, die Burg, in der sie mit ihrer kleinen Bande lebte und von wo aus sie ihre Streifzüge und Streiche plante – es war eine kleine Burg, aber sie hatte Bedeutung für einen und sie war immer schön beleuchtet und in die Rote war man verliebt gewesen, als man ein Junge war und keine Folge im Fernsehen ausgelassen hat, und während man in die Nacht hinein durch Slowenien rast, überlegt man sich, was mit den Kroaten sein wird und ob man auch mitten in der Nacht durch einen Wald kommt, aber man hat Glück und die Zöllner wollen nichts von Versicherungspapieren wissen und winken einen gegen elf Uhr nachts fluchend und kopfschüttelnd durch, nachdem man ihnen sagt, dass man die Papiere vergessen |28| hat; sie überzeugen sich von der Echtheit des Reisepasses und durchsuchen den Wagen nach Waffen: Keine Versicherungspapiere? Fuck off …!
     
    Gut, die haben andere Sorgen, denkt man und hat irgendwie das Gefühl, dass sie sich solche Auftritte, wie man selbst gerade einen hingelegt hat, seit Kriegsausbruch gewöhnt sind: bleiche, verwöhnte und gelangweilte oder selbstmordgefährdete Jungs in »geborgten« Autos, die in den Krieg wollen, Helden werden oder etwas in der Art.
    Trotz der Freude, es an den Ort des Geschehens geschafft zu haben, hätte es einem Warnung genug sein sollen, dass man sie nicht sah, die kleine Steinburg der Roten, als man gegen Mitternacht nach ihr suchte, sie stand nicht dort, wo sie in dieser und in jeder anderen Nacht hätte stehen sollen, da waren weder beleuchtete Steinmauern, eine sexy Rote Zora in ihren frühen Dreißigern, noch verrostete mittelalterliche Kanonen, deren Mündungen durch die Scharten in den Wällen ragten – klar, überlegt’s, man muss ja keine Zielscheibe bieten, man wäre ja blöd, leuchtete man die Dorfburg an, damit sich unerfahrene Kanonenschützen daran üben können, und kaum hat man begriffen, dass die Burg deshalb nicht gelb leuchtet, weil man sich jetzt im Kriegsgebiet befindet, biegt man schon um die nächste Kurve und dann Blitzgewitter von etwas wie Stadionscheinwerfern, undeutliche Stoppschilder daneben und trotz des blendenden Lichts in ihrer Massivität unmissverständlich deutliche Panzersperren dahinter, und man steigt, die Hände ins Lenkrad verkrallt, mit aller Kraft auf die Bremse, um nicht die Soldaten übern Haufen zu fahren, die sich vor der Sperre aufgebaut haben und überfahren nie und nimmer Kameraden werden könnten.
    Kaum steht man, der Puls schneller als die Zylinder unter der Haube, zielen zwei Figuren mit Maschinenpistolen durch die Windschutzscheibe und links und rechts und hinten auch Gewehrläufe und Soldaten in Tarnanzügen – Zora, sag, wie war das noch mal mit |29| den zwei depperten Dorfpolizisten? – und es wird auf Kopfhöhe gegen die Scheibe geklopft, mit dem Gewehrlauf, und man nimmt die Hände hoch, schockiert ob der geisterhaften Szenerie und erschüttert ob der eigenen Dummheit, dann stärkeres Klopfen und ein Zeichen mit der Laufmündung, die wiederholt nach unten zeigt, worauf man betont langsam die Linke zum Fenstergriff sinken lässt und zur Sicherheit mit der Rechten eine Kurbelbewegung macht und das Fenster runterlässt und sich trotzdem unsicher ist, ob man nicht gleich durchsiebt wird – Fenster unten oder oben.
     
    Man zwinkert raus, versucht, etwas zu erkennen, aber da sind keine Gesichter, nur Schatten und Figuren im Flutlicht, und wären es Feinde und hätte man eine Pistole und wollte man, man wüsste nicht, worauf zielen und schießen, und aus dem Scheinwerferlicht fragt eine Stimme mit deftigem Lokalkolorit nach dem Namen und danach, was man hier wolle, und man sagt ihn, den Namen, man buchstabiert ihn förmlich, denn, Heimat hin oder her: Kalaschnikows fühlen sich nicht gut an, sitzt man ihnen gegenüber.
    Man sagt, sprudelt förmlich heraus, man sei hier, um für die Heimat zu kämpfen und man wolle der Armee beitreten, freiwillig, koste es, was es wolle und einen auch das eigene Leben, man habe nichts zu verlieren, und wenn überhaupt, dann solle der winzige Verlust auch Sinn
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