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Dreizehn Stunden

Titel: Dreizehn Stunden
Autoren: Deon Meyer
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einen Moment ausruhen wollen. Mit geschlossenen Augen und dem Rucksack noch auf dem Rücken hatte sie
     sich gegen die Mauer sinken lassen und die Beine ausgestreckt. Nur für einen Augenblick wollte sie der Erschöpfung und Anspannung
     nachgeben. Die Geschehnisse der letzten Nacht spukten ihr wie Dämonen durch den Kopf. Um ihnen zu entfliehen, hatte sie an
     ihre Eltern gedacht und sich gefragt, wie |29| spät es jetzt zu Hause war. Doch die Berechnung des Zeitunterschiedes war zu viel für sie gewesen. Wenn es in West Lafayette
     jetzt auch früh am Morgen wäre, würde ihr Vater mit dem
Journal & Courier
am Frühstückstisch sitzen und über die Entscheidungen des Schiedsrichters aus Purdue den Kopf schütteln. Ihre Mutter wäre
     spät dran wie immer. Eilig würden ihre Absätze die Treppe hinunterklappern, und sie hätte die verschlissene braune Ledertasche
     schon über die Schulter geworfen. »Ich komme zu spät, ich komme zu spät. Wie konnte das nur wieder passieren?« Ihr Vater würde
     die Zeitung sinken lassen. »Es ist ein Mysterium, mein Schatz«, würde er sagen, und er und seine Tochter würden sich ihr rituelles
     Lächeln über den Küchentisch hinweg zuwerfen.
    Der Gedanke an den Alltag, die Geborgenheit und die Sicherheit ihres Elternhauses erfüllten sie mit schrecklicher Sehnsucht.
     Sie stellte sich vor, wie sie ihre Eltern anriefe, jetzt, in diesem Augenblick, wie sie ihre Stimmen hörte und ihnen sagte,
     wie sehr sie sie liebte. Sie führte ein imaginäres Gespräch mit ihrem Vater, der leise und ruhig antwortete, und darüber übermannte
     sie der Schlaf.

|30| 3
    Dr. Tiffany October rief nach ihnen: »Inspekteur!«
    »Ja?«
    »Ich könnte vielleicht ein bisschen spekulieren …«
    Griessel fragte sich, ob sie ihn eben gehört hatte.
    »Ja, das würde uns schon weiterhelfen.«
    »Ich glaube, dass sie hier getötet wurde, am Fundort. Das Muster der Blutung weist darauf hin, dass der Täter ihr in der Position
     die Kehle durchgeschnitten hat, in der sie jetzt liegt. Er muss sie zu Boden gedrückt haben, so, auf den Bauch, und dann den
     Schnitt gesetzt haben. Es gibt keine Spritzer, die darauf hindeuten, dass sie aufrecht gestanden hat.«
    »Aha …« Darauf war er auch schon von selbst gekommen.
    »Und diese beiden Schnitte …« Die Rechtsmedizinerin zeigte auf die Wunden, die sich quer über die Schulterblätter des Mädchens
     zogen.
    »Ja?«
    »Es sieht so aus, als seien sie
post mortem
zugefügt worden.«
    Griessel nickte.
    »Das hier scheinen Fasern zu sein …« Dr. October berührte mit einer Art Metallpinzette vorsichtig die Wunde. »Synthetisches
     Material in einer dunklen Farbe, ganz anders als die Kleidung der Toten.«
    Ndabeni blickt hinüber zu den Kriminaltechnikern, die inzwischen gebückt den Weg entlanggingen, die Köpfe dicht beieinander,
     mit suchenden Blicken, dabei ununterbrochen plaudernd. »Jimmy!«, rief er. »Kommt mal her, wir haben hier was für euch.« Dann
     beugte er sich hinunter zu der Rechtsmedizinerin.
    Sie sagte: »Ich glaube, er hat ihr etwas vom Rücken geschnitten. Wahrscheinlich einen Rucksack, also die Tragegurte, Sie wissen
     schon …«
    |31| Jimmy kniete sich neben sie. Tiffany October zeigte ihm die Fasern. »Ich warte, bis Sie sie gesichert haben.«
    »Okay«, sagte Jimmy. Er und sein Kollege packten Material aus, um die Fasern einzusammeln. Dabei setzten sie ihr Gespräch
     fort, als habe es keine Unterbrechung gegeben: »Ich sage dir, sie heißt Amore.«
    »Nein, nicht Amore, sondern Amor«, entgegnete der dicke Arnold, nahm eine kleine, transparente Plastiktüte aus seiner Tasche
     und hielt sie für seinen Kollegen bereit.
    »Worum geht es denn?«, fragte Vusi.
    »Um Joosts Frau.«
    »Welcher Joost?«
    »Van der Westhuizen.«
    »Wer ist das?«
    »Der Rugbyspieler.«
    »Er war Kapitän der Nationalmannschaft, Vusi.«
    »Ich hab’s mehr mit Fußball.«
    »Egal, jedenfalls hat sie solche Riesen…« Arnold deutete mit beiden Händen große Brüste an. Tiffany October wandte pikiert
     den Blick ab. »Ich sag doch bloß, wie’s ist!«, verteidigte sich Arnold.
    Jimmy zog die Fasern vorsichtig mit einer kleinen Zange aus der Wunde des Mädchens. »Amore heißt sie«, behauptete er beharrlich.
    »Nein, Amor, jetzt glaub mir doch! Also, und da ist dieser Typ einfach zu ihr auf die Bühne gegangen …«
    »Was für ein Typ?«, fragte Vusi.
    »Keine Ahnung, irgend so ein Kerl, der sich eine ihrer Shows angesehen hat. Jedenfalls hat er nach dem
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