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Dreizehn bei Tisch

Dreizehn bei Tisch

Titel: Dreizehn bei Tisch
Autoren: Agatha Christie
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der, zu sehr daran gewöhnt, eine Rolle zu spielen, stets das übersteigerte Selbstbewusstsein des eitlen Mannes zur Schau trägt.
    Carlotta Adams gab sich jedenfalls ganz ungezwungen. Sie war eine ausgeglichene junge Frau mit einer angenehm weichen Stimme. Da ich zufällig in ihrer nächsten Nähe saß, betrachtete ich sie voll Aufmerksamkeit. Ein besonderer Charme umgab sie. Sie hatte dunkles Haar, ziemlich farblose blaue Augen, ein blasses Gesicht und einen ausdrucksvollen, empfindsamen Mund. Ein Gesicht, das einem gefiel, das man aber schwer wiedererkennen würde, wenn es einem in anderer Umgebung und in anderen Kleidern begegnete.
    Janes liebenswürdige Komplimente schienen sie zu freuen. Jede Frau würde davon bezaubert sein, dachte ich – und dann, im selben Augenblick, ereignete sich etwas, das mich mein allzu schnelles Urteil revidieren ließ.
    Carlotta Adams umfing die Gastgeberin, die gerade den Kopf abgewandt hatte und Hercule Poirot anredete, mit einem sonderbar prüfenden Blick; er glich einem bedächtigen Zusammenfassen, und außerdem lag in jenen blassblauen Augen eine ausgesprochene Feindseligkeit.
    Eine Grille vielleicht. Oder auch Futterneid. Jane war eine erfolggekrönte Schauspielerin, während Carlotta die Leiter des Ruhmes erst zu erklimmen begann.
    Ich nahm die anderen drei Tischgäste unter die Lupe. Mr und Mrs Widburn, was war von ihnen zu sagen? Er, ein großer, klapperdürrer Mann, sie, ein dralles, hübsches, überschwängliches Wesen – ein Ehepaar in gesicherten Verhältnissen, mit einer Leidenschaft für alles, was mit den Brettern zusammenhing, und nicht fähig, sich über irgendein anderes Thema zu unterhalten. Da ich nach einer langen Abwesenheit erst kürzlich wieder nach England zurückgekehrt war, fanden sie mich, was Theaterneuigkeiten anging, traurig schlecht informiert, und schließlich drehte Mrs Widburn mir ihre runde Schulter zu und beachtete mich nicht mehr.
    Das letzte Mitglied unseres Kreises war der dunkle junge Mann, der Begleiter Carlotta Adams’. Gleich zu Anfang hatte ich den Verdacht, dass er nicht ganz so nüchtern sei, wie man es hätte erwarten können. Und als er noch einige Glas Sekt trank, wurde dies mehr und mehr offenbar.
    Er schien unter dem Gefühl eines schweren Unrechts zu leiden. Die erste Hälfte des Suppers saß er in verbissenem, düsterem Schweigen auf seinem Platz; während der zweiten Hälfte vertraute er sich, anscheinend unter dem Eindruck, dass er einen seiner ältesten Freunde vor sich habe, mir an.
    »Was ich sagen will«, begann er, »es ist nicht so. Nein, lieber alter Junge, es ist nicht so… Ich will sagen, dass, wenn du ein Mädel nimmst… gut. Aber sie gehört nicht zu der Sorte. Verstehst du: puritanische Vorfahren – die Mayflower – all das. Donnerwetter, das Mädchen ist rechtschaffen…! Ja, was wollte ich doch eigentlich sagen…? Ah, verdammt noch mal, ich musste mir das Geld von meinem Schneider borgen. Ein sehr gefälliger Bursche, mein Schneider. Schon jahrelang schulde ich ihm Geld. Das knüpft ein gewisses Band zwischen uns. Nichts als ein Band, mein lieber alter Junge. Du und ich! Du und ich. Wer zum Teufel bist du eigentlich?«
    »Mein Name ist Hastings.«
    »Potztausend! Und ich hätte geschworen, dass du Spencer Jones seist, der liebe alte Spencer Jones. Machte seine Bekanntschaft in Eton und borgte mir eine Fünfpfundnote von ihm. Ich hab’s übrigens immer gesagt, dass ein Gesicht dem anderen gleicht. Wenn wir Chinesen wären, würden wir uns gegenseitig überhaupt nicht mehr erkennen.«
    Wehmütig schüttelte er den Kopf; dann erhellten sich seine Züge, und er goss einen neuen Kelch Champagner hinunter.
    »Jedenfalls bin ich kein verflixter Nigger!«, sagte er.
    Diese Überlegung schien ihm eine solche Genugtuung zu bereiten, dass er sofort noch etliche Bemerkungen hoffnungsfreudiger Art hinzufügte.
    »Guck dir stets die glänzende Seite an, mein Junge«, beschwor er mich. »Merk es dir: immer die glänzende Seite. Einmal kommt der Tag – vielleicht allerdings erst, wenn ich die Fünfundsiebzig erreicht habe –, wo ich ein reicher Mann sein werde. Wenn mein Onkel stirbt. Dann kann ich meinen Schneider bezahlen.«
    Bei diesem Gedanken lächelte er glückselig, und sein lächerlich winziges Schnurrbärtchen zog sich ein wenig in die Breite.
    Ich fand den jungen Herrn trotz seines Schwipses ungemein sympathisch. Carlotta Adams behielt ihn, das merkte ich wohl, ständig im Auge, und nach einem neuerlichen
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