Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
ersten Vorstellung im Concordia-Theater.
     
    Obwohl wir hier in der Neuen Jacobstraße nahe dem Märkischen Museum vier U-Bahnstationen vom Scheunenviertel weg sind, gibt es für die ersten Vorstellungen fast keine Karten mehr. Wir haben dieses Mal darauf verzichtet, außerhalb der »fi nsteren Medine« Reklame zu machen, aber durch das, was da zuletzt vorgefallen ist, sind wir offenbar noch immer in aller Munde. Und es siehtso aus, als wenn doch mehr Leute, als wir annahmen, schon so ein Rundfunkgerät zu Haus haben ... Ist das nun ein positiver Effekt? Ich will nicht mehr darüber nachdenken. Am Tag vor der Wiederaufführung gibt es sogar noch eine Pressenotiz in der »Vossischen Zeitung«: »Jüdische Bühne lässt sich nicht kleinkriegen – Der ›Sternensohn‹ ist wieder da!« Hoffentlich zieht uns das nicht wieder die Leute mit den Uniformen ins Haus ...
    Sonst bin ich immer die Erste im Theater und die Letzte, die geht. Jetzt, bei den Schlussproben, den sogenannten »Durchläufen« in Kostüm und Maske, warte ich auf Schlomo, und wir gehen zusammen nach Haus.
    Als wir an diesem Abend aus dem Concordia kommen, hat es angefangen zu schneien. Dicke träge Flocken segeln vom Himmel und machen die dreckige, von Ruß- und Rauchschwaden durchsetzte Berliner Luft sauber; man atmet frei. Ich trage ein Kopftuch. Auf Schlomos wild gelocktem Haar fühlen sich die Flocken zu Haus, bleiben liegen und verwandeln sich in einen Schmuck der besonderen Art – auf den er missmutig reagiert. »Hätte ich nur einen Hut mitgenommen!«, sagt er und schüttelt den Kopf, dass die Nässe nach allen Seiten fliegt.
    Weiße, vergängliche Lasten auch auf unseren Schultern und Armen. Am Boden wird alles gleich zu Nässe und Matsch. Man könnte zu Fuß gehen, aber bei dem Wetter hat der Heldendarsteller offenbar keine Lust dazu.
    Als wir uns der U-Bahn-Haltestelle Märkisches Museum nähern, sagt er auf einmal: »Da ist er wieder. Mein Schatten.«
    Ich drehe vorsichtig den Kopf. Tatsächlich. Jemand folgt uns. Dunkler Mantel, Hut. Mir krampft sich der Magen zusammen. »Bist du sicher, dass ... « Ich vollende den Satz nicht. Ich weiß, dass es stimmt.
    »So«, sagt er ruhig und löst meinen Arm aus dem seinen. »Nun
    wollen wir doch mal sehen, was für ein brüllender Löwe das ist.« »Was hast du vor?«, frage ich. Meine Stimme ist ein Flüstern. »Dasselbe wie mit dem Telefon«, sagt er. Wir sind an der Annenstraße um die Ecke gebogen auf die breite Hauptstraße. Ein paarDutzend Schritte weiter in einem Torbogen bleibt er stehen, und ich mit ihm. Die Gestalt kommt gleichfalls heran. Schlomo tritt aus dem Tor, geht mit energischen Schritten darauf zu. Ich bleibe einfach stehen und bin wie gelähmt. Sehe, wie er dieses »Phantom« an den Aufschlägen des Mantels packt, heftig etwas sagt, »es« schüttelt und gegen die nächste Hauswand stößt.
    Und ich stehe da und schlottere. Diese Kälte, die mir den Rücken hochkriecht. Das da hat kein Gesicht. Das ist nur eine weiße Scheibe. Es verschwimmt vor meinen Augen. Ich bin kurz davor, ohnmächtig zu werden.
    Der »Schatten« flüchtet.
    Schlomo kehrt zu mir zurück. »Gut«, sagt er grimmig und schüttelt sich den Rest Schnee von Schultern und Ärmeln. »Ich denke, den sind wir los.« Er nimmt wieder meinen Arm.
    »Hast du ... sein Gesicht gesehen?«, frage ich leise.
    »Wieso?«, fragt er. »Ein ganz normales Schweinehundgesicht. Nase, Mund und Augen. Die Augen hat er allerdings schnell zugekniffen. – Was ist dir denn, Mädchen? Du zitterst ja wie Espenlaub!«
    »Es ist alles ein bisschen zu viel«, murmele ich.

37
    Die Generalprobe läuft so gut, dass die Bühnenarbeiter applaudieren. Schlomo spielt seinen Sternensohn mit solchem Schwung und solchem Feuer, dass es kaum noch zu steigern ist, und er reißt das ganze Ensemble mit.
    Mendel Laskarow allerdings setzt eine bedenkliche Miene auf. »Eine Generalprobe ohne Patzer?«, knurrt er. »Schlechtes Vorzeichen für die Aufführung!«
    »Theater-Aberglauben!«, sagt sein Sohn achselzuckend. »Wir werden uns übermorgen noch steigern, glaub mir.«
    Übermorgen. Der fürsorgliche Prinzipal gönnt seinem Ensemble einen Tag Ruhe vor der Wiederaufnahme, die ja fast so etwas wie eine zweite Premiere ist.
    Aber in dieser Nacht sitzt Leonie wieder, nach Atem ringend, im Bett, und riecht den Rauch und hört das Knistern der Flammen. Nur hat sie es diesmal geschafft, ihren Angstschrei im letzten Moment zu unterdrücken. Sie hat niemanden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher