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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Autoren: PeP eBooks
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sagen, Leute, die man schikaniert, dürfen sich nicht wehren? Vielleicht weil sie Juden sind? Wenn ein Haus brennt, dann ...«
    Ein Poltern. Dann das gleiche schrille Pfeifen wie vor der Übertragung, Krächzen und Knistern. Darauf folgt die scheppernde Stimme des Herrn Seibt: »Liebe Zuhörer! Wegen eines technischen Fehlers müssen wir das interessante Gespräch leider unterbrechen. Nach kurzer Pause folgt eine Darbietung auf dem Cello. Herr Kammervirtuose Winfried Hagen wird für Sie das ›Gebet einer Jungfrau‹ spielen.«
    Der junge Mann mit dem Cello erhebt sich. »Gut, dass ich so früh gekommen bin! Schon ist man dran!« Er verbeugt sich vor Leonie.
    Die Tür der Dachkammer fliegt auf. Oskar Seibt stürzt grußlos an Leonie vorbei und putzt im Laufen seine Brillengläser. Ihm folgt, weitaus gemessener, Schlomo. Sein Gesicht ist gerötet und seine Augen funkeln.
    »Der hat dem Techniker ein Zeichen gegeben, mich einfach abzuwürgen!«, sagt er amüsiert. »Hatte sich die Sache wohl anders vorgestellt. Wollte mich vorführen, dieser Reporter, mich bloßstellen!«
    Leonie sagt ernsthaft: »Aber er hat sich selbst zum Obst gemacht.«
    »Zum Obst? Wer sagt denn so was?«
    »Der jetzt da reingegangen ist, der mit dem Cello«, erwidert Leonie. Im gleichen Augenblick ertönen die schmelzenden Klänge des Instruments aus dem Lautsprecher. Gebet einer Jungfrau.
    Leonie und Schlomo lachen los.
    Im Paternoster ist man jetzt in der richtigen Stimmung, sich zu küssen.
    »Überall, wo im Haus Lautsprecher waren, haben sie zugehört, sagt dieser Cellospieler«, berichtet Leonie. »Du warst ganz schön obenauf.«
    »Als ich gesehen hatte, was der am Revers hatte, da wusste ich ja schon, was die Glocke geschlagen hat. Da hat mich das nicht unvorbereitet erwischt.«
    »Im Ernst, du warst richtig gut«, sagt Leonie.
    »Das wollte ich hören!« Er wirft den Kopf in den Nacken, mimt den großen Star.
    »Wie sollte dein Satz eigentlich weitergehen?«
    »Welcher Satz denn?«
    »Na, du hattest doch angefangen: Wenn ein Haus brennt ...« »Was soll man schon sagen? Wenn ein Haus brennt, dann muss man es löschen. Was denn sonst.«
    »Du warst ganz schön frech.«
    »Ja, und? Außer den paar Leuten hier in dem Haus hört das doch ohnehin keiner. Wer hat schon einen Empfänger?«
    Er grinst.

 
     
     
     
     
     
    Subj. 101 (Bes. Aufgaben) an vorgesetzte Behörde
     
    Anbei die Wiedergabe eines mitstenografi erten Gesprächs im neuartigen Rundfunk. Gesprächsteilnehmer: Reporter O. Seibt und S. Laskarow, jüdischer Schauspieler und Identifi kationsfi gur gewisser Kreise (siehe auch Protokoll der Vorkommnisse im »Künstler-Theater« vom Vormonat.). Besagtes Gespräch, ursprünglich zur Entlarvung der renitenten Haltung obengenannten Theaters gedacht, lief dem Reporter aus dem Ruder und musste abgebrochen werden. Es steht zu befürchten, dass die Aufmerksamkeit, der sich die betreffende Bühne erfreut, noch gesteigert wird, was ursprünglicher Absicht zuwiderlaufen würde. Bitte um Anweisung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
     
    Behördliche Anmerkung: Nach erster Maßnahme in obengenanntem jüdischen Theater ist die Destabilisierung weiter voranzutreiben. Erfolg versprechende Methode scheint Konzentration auf ein Individuum. Einleitung der Maßnahmen sofort. U. U. ist ein Exempel zu statuieren.

36
    Zwei Tage nach der – wie sie beide fi nden – Posse beim Rundfunk fällt Leonie, als sie aus dem Fenster ihres Zimmers guckt, eine Gestalt in dunklem Mantel auf, die, den Hut tief in die Stirn gezogen, an der Ecke Wallstraße und Spittelmarkt steht. Es ist eigentlich nicht das Wetter, bei dem es Vergnügen macht, sich draußen rumzutreiben. Als sie zwei Stunden später zufällig wieder am Fenster ist (es wird schon dunkel und sie macht sich fertig, in die Neue Jacobstraße zum Concordia zu gehen), steht der Mann immer noch da. Merkwürdig. Ihr ist nicht wohl beim Anblick dieser reglosen Gestalt.
    Am nächsten Tag sieht sie ihn wieder, diesen Mann, dessen Gesicht sie nicht wahrnehmen kann. Ihr fällt der Mensch ein, der am Tage des Theaterskandals noch im Zuschauerraum saß, mit geschlossenen Augen, das Gesicht ein weißer Fleck.
    An diesem Abend spricht sie Schlomo darauf an. »Ach, du meinst meinen Schatten?«, fragt er. »Der folgt mir schon seit vorgestern. Hier lauert er mir immer nur auf, bis ich aus dem Haus gehe.«
    Sie sieht ihn an, entgeistert. »Der verfolgt dich?«
    »Er verfolgt mich nicht«, erwidert er
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