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Drei Wunder (German Edition)

Drei Wunder (German Edition)

Titel: Drei Wunder (German Edition)
Autoren: Alexandra Bullen
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sie so aus ihrer Trance.
    »Calla Karalekas«, erklärte er leise mit gespieltem Desinteresse. »Der Stern, um den geringere Planeten kreisen. Ihr Vater ist so was wie ein Botschafter von Griechenland, und ihre Mutter ist japanischer Adel.«
    »Sie ist sehr hübsch«, bemerkte Olivia überflüssigerweise. Dieses Mädchen war nicht hübsch. Sie war wahrscheinlich das unglaublichste, schönste menschliche Wesen, das Olivia je gesehen hatte.
    »Sie ist schon okay, denke ich.« Miles zuckte mit den Schultern. »Wenn man auf so was steht.«
    Olivia sah zu, wie Miles mit einem Armband aus Lederimitat spielte, es hin und her über die Knochen seines schmalen Handgelenks schob. »Was du offensichtlich nicht tust«, stellte Olivia fest.
    »Hey«, antwortete er und hob in übertriebener Abwehr die Arme. »Ich gehe mit den Leuten hier schon seit der Sechsten zur Schule. Ich hatte Zeit zum Beobachten.«
    »Scheint so, als beobachtest du eine ganze Menge«, meinte Olivia und schob einen Daumen durch das Loch, wo der Ärmel ihres Pullis dünn geworden war, und griff sich um die Ellbogen, um sich warm zu halten. Die späte Märzsonne war stark und schien ausdauernd, aber ab und zu schickte ein kalter Wind eine Gänsehaut über Olivias Rücken.
    »Ich lerne so einiges«, sagte Miles, schraubte den Verschluss seiner Wasserflasche auf und nahm einen Schluck. »Zum Beispiel über dich.«
    Einen Augenblick lang sah Olivia ihm in die Augen, die groß und so dunkel waren, dass sie an Opale erinnerten. »Was denn zum Beispiel?«, fragte sie.
    »Zum Beispiel, dass du etwas verbirgst«, sagte er sofort, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und legte die Arme über seine gebeugten Knie. »Niemand zieht mitten im Schuljahr grundlos in eine andere Stadt«, fuhr er fort und verengte die Augen zu kleinen Schlitzen.
    Olivia zuckte mit den Schultern, überkreuzte ihre Füße, stellte sie dann wieder nebeneinander und starrte auf ein paar Grashalme, die sich zwischen dem Steinpflaster herausschoben.
    »Also, was ist es?«, fragte er. »Haben deine Eltern sich scheiden lassen?«
    Olivia schüttelte den Kopf und schluckte.
    »Ärger gehabt?« Seine Stimme war leicht und sorglos. Der Ansatz eines Lächelns umspielte seine Lippen.
    Olivia schluckte wieder. Dies war der Teil, den sie am meisten hasste. Die Tatsache, dass – egal was sie sagte, egal wie sie es sagte – dieses Lächeln im Handumdrehen verschwunden wäre. Sie selbst würde sich furchtbar fühlen. Er würde sich wie ein Idiot vorkommen. Und sie würden die restliche Mittagspause in unangenehmem Schweigen verbringen.
    »Komm schon«, bat er, als wolle er ihre Gedanken abwiegeln. »Es muss doch irgendeinen Grund geben, dass du von so weit hierher gezogen bist. Ich meine, die Kanzlei, in der meine Mutter arbeitet, ist gut, aber nichts ist so gut …« Miles hob fragend die Augenbrauen.
    Olivia stemmte ihre zitternden Hände gegen den Tisch. »Meine Zwillingsschwester ist gestorben.«
    Ihre Stimme klang dünn und fremd. Egal, wie oft sie diese Worte sagte, sie konnte dem Gefühl nicht entkommen, dass es ein Satz aus dem Leben von jemand anderem war. Vielleicht von der Hauptdarstellerin in irgendeinem kitschigen Film, den Violet und sie im Fernsehen angeschaut hatten, wobei sie Witze über die schlechten Schauspieler machten, aber insgeheim unglaublich glücklich waren, dass ihnen niemals etwas so Furchtbares passieren würde.
    »Meine Mutter ist hier aufgewachsen«, fuhr Olivia fort, in einem Versuch, die angespannte Atmosphäre etwas aufzulockern. »Sie dachte, es wäre gut, etwas Neues zu probieren, oder in dem Fall vielleicht auch etwas Altes …«
    Miles räusperte sich und spielte verlegen mit der leeren Chipstüte.
    Olivia brauchte nicht aufzublicken, um zu wissen, dass sie recht gehabt hatte: Sein unbeschwertes Lächeln war verschwunden. Er kam sich total bescheuert vor. Und sie beendeten die restliche Mittagspause in einem unangenehmen Schweigen.

2
    »Dad?«, rief Olivia in den Flur und schloss die Haustür durch einen Stoß mit dem Fuß. Ein Buntglasfenster zitterte hinter den Lagen aus Pappe, die ihr Vater auf der anderen Seite befestigt hatte. Das Haus, ein dreistöckiger viktorianischer Bau mit kanariengelben Schindeln und schiefen grünen Fensterläden, befand sich in unterschiedlichen Stadien der Reparaturbedürftigkeit. Olivia war inzwischen daran gewöhnt, dass es nichts gab, was tatsächlich so funktionierte, wie es sollte: Türen schlossen nicht richtig, Fenster waren
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