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Drei Tage voller Leidenschaft

Drei Tage voller Leidenschaft

Titel: Drei Tage voller Leidenschaft
Autoren: Susan Johnson
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wenn Iljitsch sie nicht behalten wollte.
    Prinz Kuzan war einer jener Aristokraten, die ihre Zeit mit einem dilettantischen Interesse für Literatur, Malerei und sogar die Wissenschaften füllten. Er verbrachte die übliche Zeit in Gesellschaft, spielte, ging in Clubs und jagte auf dem Lande, aber vor allem praktizierte er geschickt und giftig die Galanterie, wenn er sich mit dem besten aller Zeitvertreibe abgab, l’amour.
    Er verachtete bewußt jene Prinzipien, die angeblich das Patriziat in der Gesellschaft stützten, und lehnte öffentlich den Kult der viktorianischen Mäßigung und Ernsthaftigkeit ab, der sich selbst im frivolen Rußland in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ausbreitete.
    In der creme de la creme, den adligen, feineren Kreisen von Petersburg, galt Nikki nun seit fünfzehn Jahren als die Schande aller ehrgeizigen und hoffnungsvollen Mütter, und nun, mit dreiunddreißig, hatten ihn sogar die hartnäckigsten und optimistischsten Heiratsmaklerinnen aufgegeben. Er war das einzige Kind eines reichen und mächtigen Prinzen, und der junge Nikolai war selbst über allen Neid hinaus wohlhabend, sah nur allzugut aus, war ein Meister des Charmes, wenn die Gelegenheit es verlangte und sein aufbrausendes Temperament gerade einmal ruhig genug war; er war beliebt bei seinen Freunden, galt als großzügig, wurde von seinen Eltern angebetet und zeichnete sich daher durch einen völligen Mangel an moralischen Prinzipien aus. Er betrachtete die Welt mit einer Gelassenheit, die nur Rang und Reichtum ermöglichen: ein verzogenes Glückskind, das die Welt zu Recht als seinen Spielplatz betrachtete, denn es war noch nie etwas geschehen, das seine bequeme und perfekt passende Überzeugung erschüttert hätte.
    »Nikki, du kannst doch Tanja nicht einfach so weggeben! Wir haben keine Sklaverei mehr«, ermahnte ihn der junge Aleksej mit der jugendlich-leidenschaftlichen Ritterlichkeit seiner neunzehn Jahre.
    »Keine Angst, Sascha, ich will sie ja nicht brutal in den Wald jagen. Um Tanja wird sich schon jemand kümmern«, meinte Nikki sanft, um seinen jungen Vetter nicht zu beunruhigen. Vielleicht war Aleksej zu jung, um dieses frivole Hurenleben zu beobachten, dachte Nikki unruhig. Vielleicht sollte ich ihn nach Hause schicken. Aleksejs Mutter, die ihren jüngsten Sohn gern verwöhnte, hatte gezögert, als der Junge sie um einen längeren Aufenthalt bei dem Lieblingsvetter Nikki gebeten hatte. Vielleicht hatte sie recht gehabt. Er selbst war noch ehe er neunzehn war in allen berüchtigten Verderbnissen des Lebens geschult worden, aber vielleicht war die neue Generation anders. Das Grollen von Unzufriedenheit und Revolution, das Heraufdämmern eines Industriezeitalters, begannen sich im Land immer stärker bemerkbar zu machen. Vielleicht war diese Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit typisch für Aleksejs Generation. Die Revolution von 1848, die Throne gestürzt und Regierungen hinweggefegt hatte, hatte Rußland zwar kaum berührt, und wo dies geschah, in den Außenprovinzen, war sie gnadenlos unterdrückt worden, aber selbst die autokratische russische Monarchie hatte es als vernünftig und klug befunden, die Sklaven 1861 zu befreien. Nikki war in einer aristokratischen Gesellschaft ohne einen Sinn im Leben und mit aller Nachsichtigkeit großgeworden. Hatte sich die Gesellschaft in den letzten fünfzehn Jahren denn so sehr verändert, oder war Aleksej einfach von Natur aus weniger neugierig, weniger stürmisch? fragte er sich.
    »Ah, mein ritterlicher Junge«, neckte Nikki Aleksej nun. »Kommst sofort einer armen Maid zu Hilfe, allzeit bereit zu offensichtlichen Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen, strebst stets nach der ganzen Wahrheit, wie dein Lieblingsautor ja immer wieder betont.«
    »Du hast Turgenjew gelesen?« fragte Aleksej ungläubig und hielt das Buch hoch, weil er noch nie gesehen hatte, wie sein älterer Vetter in seiner Gegenwart auch nur eine Zeitung las.
    »Ja, das habe ich, du junger Wicht. Ich kann nämlich lesen, weißt du.« Nikki hatte sehr viel freie Zeit. Immerhin kann man nur begrenzt viele Stunden am Tag beim Spielen und Kopulieren verbringen, dachte er lächelnd bei sich.
    »Hat noch keinem wehgetan, nach der Wahrheit zu suchen«, protestierte Aleksej. »Jedenfalls ist das besser als Trinken, Spielen und Herumhuren, denn das ist alles, was du jemals tust.« Damit brach er unvermittelt ab, weil er fürchtete, die Grenzen ihrer Freundschaft überschritten zu haben. Er verehrte
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