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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach
Autoren: Bastienne Voss
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schmatzend und grunzend an ihr rumkaute, brüllte Kasper wie am Spieß. Zur Strafe wurde auch er g e fressen. Das Krokodil jammerte und hielt sich den Bauch, so wie Großvater es immer machte. Es stöhnte und würgte und kotzte Kasper und Gretel endlich wieder aus. Sie hi n gen tot mit dem Gesicht nach unten über der Biedermeierwand. Dann war die Vorstellung zu Ende. Großvaters Inszenierungen waren u n schlagbar.
    Unser Wohnhaus hatte er selbst gebaut. 1966 hatte er damit begonnen, da war er einundsechzig. Nach sechs Jahren Bauzeit war daraus ein Bungalow mit Flachdach im amer i kanischen Stil geworden. Solange er baute, trug er immer einen Zeitung s artikel bei sich. Die »Torgauer Initiative zur Förderung von Eigenheimbau«. Bekam er in der Baustoffve r sorgung kein Material, holte er den Artikel aus der Tasche, zitierte daraus und drohte: »Wenn ich die Steine morgen nicht habe, bin ich übermorgen bei Honecker!« Manchmal bekam er, was er wollte, doch meistens wurde über den armen Irren, der he k tisch mit einem vergilbten Zeitungsfetzen wedelte, hämisch gelacht.
    Er hatte das Haus nicht nur für sich und Großmutter, sondern vor allem für Püppchen gebaut. Püp p chen nannte er seine Tochter Babette. Und als die mit mir schwanger war, baute er natürlich auch für mich. Für Püppchens Püppchen. So hausten drei DDR-Generationen unter einem amerikanischen Flachdach und hackten den ganzen Tag aufeina n der rum. Als Püppchen sich Ende der Siebziger von meinem Väter hatte scheiden lassen und einen neuen Mann mit unter das Flachdach holte, drohte der nach kurzer Zeit mit Trennung. »Ich drehe durch, ich werde wahnsinnig in einem Haus mit dem Verrückten! In dieser Irrenanstalt kann man ja nichts abschließen! Alles nur Schiebetüren. Keine Klinken und ke i ne Schlösser!« Mutter sollte sich entscheiden. Er oder das Haus mit dem Ve r rückten und den idiotischen Türen. Püppchen entschied sich für die Schiebet ü ren: »Das wirst du nicht verstehen, aber ich kann meinen Vater nicht verlassen, er braucht mich!« Also wurde Püppchen verlassen.
    Außer den Behördenbriefen schrieb Großvater unentwegt Hörspiele und Th e aterstücke. Lesen durften wir nie was, aber er sprach oft davon. Er schrieb über junge Pioniere, über das sozialistische Kollektiv, über Hausgeister und die »he i lige Familie«. Ein Stück hieß »Der fröhliche Lehrgang« und handelte von nächtlichen Schlüpferschlachten während eines Weite r bildungskurses des Staatlichen Handels für Versorgung. Keines seiner Stücke wurde je gesendet oder aufgeführt. Die Briefe der Rundfunkreda k teure und Dramaturgen waren meist klare Absagen. Sie brac h ten Großvater zur Raserei.
    Im KZ hatte sich die SS für Gustavs Zeichnungen int e ressiert, seine Geburtstagskarten waren bei der Wachman n schaft begehrt. Mit geradezu primitiven Ka r ten fing es an. Um aber einmal in Übung zu bleiben und um einen Ausgleich zu schaffen gegenüber dem trostlosen Leben im Lager, gestalteten wir die Karten i m mer künstlerischer. Dann wandten sich die SS-Leute an mich, ihnen pornograph i sche Darstellungen zu zeichnen. Das Material dazu schafften sie heran. Fotos, Bi l der, Zeichnungen usw., die ich kopieren mußte. Für die Gefangenen zeichnete er heimlich. Nun hatten die Gefangenen aber auch Geburtstag. Also bekamen sie auch ihre Karte. Das wurde geradezu zu einer Industrie ... Was auf diese Art der SS an Schaden zugefügt wurde, durch den Materialverbrauch und die aufgewandte Zeit, läßt sich nicht berechnen. Es war ein gefährliches Spiel. Das Leben hing davon ab. Sabotage war gleichbede u tend mit Galgen.
    Nach dem KZ hatte Großvater weitergezeichnet. Großmutter, Mutter und ich, jede von uns bekam zu jedem Geburt s tag eine selbstgemachte Karte. Nur Vater bekam keine, weil die beiden sich nicht besonders mochten. Ich fand die Karten schön und bewunderte Großvater wegen seiner Kunstfertigkeit. Für uns zeichn e te er lustige Figuren mit roten Nasen und roten Wangen, Rosen, Orn a mente, alles, was das Herz begehrte. Die bunten Tuschezeichnungen sahen den Lac k bildern aus dem Westen ähnlich, die wir in der Schule i m mer tauschten. Fehlte nur der feine Glitzerstaub. Später fragte ich mich, ob ich als Kind tatsächlich den gleichen schlechten Geschmack wie die Sachsenhausener SS gehabt hatte.
    Großvater verstand nicht, warum niemand seine Stücke spielen wollte. A n statt die Absagen hinzunehmen, bombardierte er die Sendeansta l ten und Theater mit
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