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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach
Autoren: Bastienne Voss
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hat das ja nicht geglaubt mit der Schö p fung – und trotzdem sage ich, er war mein Bruder – ha, ha – wär er nämlich nicht geschaffen worden, dann hätt ich ja gar keinen Bruder gehabt – siehste, das isses doch – das ist der Clou!« Sie nippt wieder von der Alte n heimlorke und beißt ein großes Stück vom Miniamerikaner ab. »Gesegnet, wer im Glauben treu, er wird erlöst durch Buß und Reu – wir Menschen, wir können das nur nicht zeigen, daß wir alle uns ganz gerne mögen.« »Ja«, sage ich u n schlüssig.
    Ich hocke noch ein Weilchen auf Tante Helenes Bettkante und bewundere i h re alte Stehlampe. Sie belehrt mich: »Das ist keine Stehlampe, das ist ein Decke n fluter.« Aha. Beim Abschied frage ich, ob sie sich noch erinnere, wie sie trällernd mit Gustav unser Flachdach geteert habe. Da fährt sie hoch aus den Kissen. »Schneewittchen, hinter den Bergen.« Sie schmettert die Töne hinaus in das zehn Quadratmeter kleine Pflegehei m zimmer, die Stimme klingt jung, wie vor dreißig Jahren. »Das is ’ne dolle M a sche. Das müßt ich mal hier draußen auf dem Gang singen, da holen die mich gleich ab, da kommt die Feuerwehr!«
    Statt der Feuerwehr kommt eine Schwester ins Zimmer g e stürzt: »Ist alles in Ordnung, Frau Voss?« »Das sehen Sie doch, Sie können wieder hinausstürzen. Eine Unve r schämtheit, jetzt fragen die mich das schon am hellerlichten Tage!«
    Ich gehe ins Bad und wasche mir die Hände, den Altersgeruch nehme ich kaum noch wahr. Trotzdem will ich ihn a b waschen, will irgendwas abwaschen, bevor ich hier rausgehe. Helene fragt, was wir jetzt noch zu lachen und zu weinen hätten. »Habt ihr noch Apfelwein? Ihr hattet doch immer so ’ne tolle Obsternte und Hunderte Fl a schen Apfelwein im Keller. Aber den trinkt ihr nicht mehr, was? Sonst fallt ihr alle um, eure ganze versoffene Familie. Ach, Gustav, du alter Lümmel, was soll ich noch von dir e r zählen.« Sie lacht und lacht, hört gar nicht mehr auf zu lachen. Ich kann mich nicht entschließen zu gehen, jetzt, wo sie so in Fahrt ist.
    »Und dann hab ich immer so Alpträume – was wollen sie denn von mir, sag ich – wie ’ne Irre hab ich geguckt und gesagt – wissen Sie denn das noch nicht? – ich bin doch tot – ich bin doch schon lange gestorben – machen Sie doch das alles hier weg – ich leb doch schon längst nicht mehr – das is so traurig, aber es ist so – man kommt in Situationen ... Willst du meinen Schaukelstuhl haben? Ach bitte, nimm ihn doch mit! Die schmeißen hier nach und nach sowieso alles raus. Was braucht ’ne alte Frau ein Sofa? Und der Schaukelstuhl kommt sonst auch auf den Müll. Aber so ist er in guten Händen, bleibt er in der Familie.« »Würde ich gern, aber ich bin mit dem Zug, da kann ich doch nicht...«
    »Du nimmst ihn mit, ja? Wie schön, du nimmst ihn mit!« Sie pellt sich aus i h rer Wolldecke, setzt sich auf, die Beine baumeln von der Bettkante. Sie rutscht runter, steht, ist einfach aufgesta n den. »Gib mir den Krückstock! Nimm das da weg! Leg das da hin! So. Schöner Schaukelstuhl, was? Ich begleite dich, bis ru n ter in die Halle. Hak mich unter, haste den Stuhl? Geht’s?«
    Irgendwie geht’s, irgendwie kommen wir unten an. Das Heimpersonal staunt nicht schlecht, als ich mit Tante und Stuhl um die Ecke biege. Ich bestelle ein Kombitaxi. Nach zwei, drei Minuten ist es da. »Und jetzt geh ganz schnell, ganz, ganz schnell, aber komm wieder, ja?« Helene ist glüc k lich. Sie sieht mit eigenen Augen, wie ich mit ihrem Schaukelstuhl das Altersheim verlasse, ins Taxi steige und wegfahre.
    Auf dem Bahnhof zerre ich den Schaukelstuhl hinter mir her. Wo stelle ich das Ding nur hin? Gang geht nicht. Da, wo die Türen sind? Schlecht, steht er im Weg. Kann ich ihn auch nicht allein lassen, schmeißt ihn vie l leicht jemand raus oder nimmt ihn mit, oder was weiß ich. Der Zug ist voll bis unters Dach. Speis e wagen! Das ist die Lösung! Geht nicht, paßt nicht, alles voll. Also doch dort, wo die Türen sind. Bleib ich eben hier und setz mich rein!
    ICE 787 gleitet sanft dahin, ich sitze im Schaukelstuhl, da, wo die Türen zum Einsteigen sind, und denke an Helene und ihren Bruder Gustav, meinen Großv a ter.
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