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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach
Autoren: Bastienne Voss
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»Voss malte für die SS Aktbilder und anderes (was in Frankreich üblich ist). Er bekam dafür Speck, Brot und Ölsardinen. Er stand von früh bis abends am Spind und fraß.« Und in einem geheimen Bericht der Abteilung Kader und Schulung heißt es: »Auch die Einsichtnahme in die vorhandenen Unterlagen über das KZ Sachsenhausen ergab keinerlei Hi n weise über die vermutete Spitzeltätigkeit des Voss.«
    Was da steht, klingt beruhigend. Aber auch wenn irgendwas dran sein sollte an dem Verdacht – was wissen wir denn schon vom KZ?
    Der Heutige sieht, was er liest, mehr nicht. Der Rest bleibt für ihn unsichtbar.
    Großvater hat gemalt nach dem KZ. Immer wieder seine Geburtsstadt Götti n gen, Stilleben, Landschaften. Alles in Öl. Unser ganzes Haus hing voll mit diesen Schinken, die mir nie gefielen. Nur ein Bild finde ich schön. Schon als Kind habe ich es gemocht, und jetzt hängt es in meiner Küche. Man sieht eine südländische Landschaft darauf, mit kleinen weißen Häusern am Hang, im Vordergrund das blaugrüne Meer. U n ten rechts in der Ecke steht: »An der Adria im Sommer 1958. Gustav«. Die Landschaft und das Wort Adria erschienen mir so fern wie die Ja h reszahl. Oft stand ich davor und träumte mich in eines der weißen Häuser hinein und an den Strand. Der San d strand auf Rügen, an der Ostsee, wohin wir jedes Jahr fuhren, sah ganz anders aus. Jahrelang fragte ich mich, wie Großvater dahin gekommen war, wovon ich nur trä u men konnte. Dank der Akte »Gustav Voss« scheint nun auch dieses Geheimnis gelüftet: »Gen. Voß war unser ältestes Delegationsmitglied. Entspr e chend seines Alters hat sich Gen. Voß vorbildlich wä h rend der Fahrt verhalten. Im Gegenteil, er fand stets ein frohes und richtiges Wort zur Aufheiterung der Gemüter. Gen. Voß verhielt sich parteimäßig und nahm äußerst stark an den Auseina n dersetzungen mit den jugoslawischen Genossen teil. Gustav hätte allerdings stärker an der Ausmerzung der Mängel i n nerhalb unseres Kollektivs tei l nehmen können.«
    Dann kann man lesen, daß Großmutter zur Übertreibung nei g te, was stimmt, und daß sie sich »im Monat November 1959 ... e i nen Pelzmantel im Werte von 1300,- DM z u gelegt habe. Auch ihrer Tochter kaufte sie einen Pelzmantel.« Ganz schön viel Knete, die sie da auf der Kante hatte. Doch der November ist kalt. A u ßerdem war sie zum Beispiel »der Meinung, daß es nicht notwendig gew e sen wäre, am 24.12. zu arbeiten, den gleichen Standpunkt zur Arbeitszeit ve r tritt sie am 31.12.« Wilma, der alte Partylöwe! Und dann steht noch da, »daß ihr Mann an einem Drama schreibe und Genossen des ZK ihm mitgeteilt hätten, daß er tei l weise ähnliche Fähigkeiten wie Bert Brecht zeige«. Man staunt, was die Genossen vom ZK alles wußten!
    Am Schluß lese ich in einer Gesamteinschätzung des Genossen Voss: »Zu Voss, Gustav, muß noch gesagt werden, daß er Ansichten vertritt, die nicht in Einklang mit unseren A n sichten zu bringen sind. Er sagte als Seminarlehrer vor Kreisab e ndschülern: ›Hier habe ich statistisches Material. Dieses stammt nicht aus Moskau, sondern aus Westdeutschlands« Mensch, Opa!
    Als nun die beiden Geheimen Informanten der Staatss i cherheit, Wilma und Gustav Voss, am zweiten Weihnachtsfeie r tag des Jahres 1958 nach Verhör und Untersuchungshaft in Hamburg zurückkommen nach Schwerin, gehen sie z u nächst an ihrem Haus vorbei. Gustav sagt: »Sieh mal, die armen Schweine! Da ist denen doch die ganze Bude abgebrannt!« Und Großmutter, nach heftigem Z u cken, antwortet: »Warte mal, Täve, die armen Schweine – das sind wir!« Wä h rend die beiden fassungslos in die verkohlten Fenster ihrer Wohnung gaffen, sitzt Püppchen eine Treppe tiefer bei Frau Steinhagen und Frau Buschhusen, heult und klappert vor Angst mit den Zähnen. Es war wirklich die ganze Bude abg e brannt. Die Damen Steinhagen und Buschhusen waren total überfordert gew e sen. Anstatt die Feuerwehr zu rufen, hatten sie in Panik ve r sucht, den Brand selber zu löschen. Wieder und wieder waren sie mit überschwappenden Blec h eimern die Treppen hochgehetzt und hatten das Wasser auf die lodernden Flammen gego s sen, bis die Feuerwehr kam. Doch da war es schon zu spät.
    Püppchen war oft allein zu Haus, und Püppchen hatte Angst. Püppchen durfte nicht raus und sich nicht mit andern Ki n dern treffen. Püppchen durfte nicht telefonieren und nicht abheben, wenn es klingelte. Püppchen existierte eigentlich gar nicht. Gro ß
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