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Draussen

Draussen

Titel: Draussen
Autoren: Lachmann
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in einem der Kartons bei meinen Eltern auf dem Dachboden. Jeder Besuch begann mit demselben Dialog zwischen meinem Vater und mir: »Kannst du diesmal die Sachen aus deinen Kartons auf dem Dachboden aussortieren?« – »Ja, klar. Mach ich.« Und jeder Besuch endete mit demselben Dialog. »Beim nächsten Mal sortierst du aber die Sachen aus deinen Kartons auf dem Dachboden, ja?« – »Ja, klar, mach ich.«
    Schön, dass manche Dinge sich nie änderten. So auch, dass ich mir nichts aus Autos machte. Sie sollten einen von A nach B bringen, mehr nicht. »Ach, ich dachte, du hast ein Motorrad. Wegen deiner Klamotten.« Ich sah ihn fragend an. »Nee, das ist nur Style irgendwie. Ich stell den Kleinen mal eben da rüber.« Tatsächlich waren gegenüber geschätzte dreißig Parkplätze frei. Und das war vor zwanzig Minuten noch nicht so gewesen? Hatte am Ende der ADAC sein jährliches Grünkohlessen mit der Belegschaft im Schanzenviertel vor zehn Minuten beendet und alle waren in ihrem eigenen Wagen wieder nach Hause gedüst? Oder ging es diesem Y-Chromosom-Träger echt nur darum, bei mir Eindruck zu schinden? Mit einem AUTO??? Und war jetzt überhaupt Grünkohlzeit?
    Er hatte umgeparkt und schlenderte lässig auf mich zu. »Ist übrigens noch ein Original. Die haben die Austin-Healeys 3000 ja nachgebaut. Mit BMW-Motor. Aber irgendwie ist das nicht dasselbe. Vom Gefühl her, weißt du?«
    Vom Gefühl her glaube ich, dass du einen ganz Kleinen hast, du Depp, dachte ich. Vielleicht sollte ich ihm mal meine »Penis-Enlargement«-Mails weiterleiten? Ich war schon mal kurz davor gewesen, zurückzuschreiben, dass ich mich tatsächlich für eine Penisvergrößerung interessiere, weil meiner doch seeehr klein sei.
    »Ich mag die Farbe«, sagte ich um des Frauen-haben-keine-Ahnung-von-Autos-Klischees willen – und weil ich Angst hatte, er könnte tatsächlich anfangen, mich mit irgendwelchen technischen Details zu langweilen. »Ja. Rot.« Ah so. Hatte ich’s doch richtig gesehen.
    »Du siehst genauso aus wie auf deinem Foto«, sagte er, während wir zum Restaurant zurückschlenderten. Ist ja auch der Sinn eines Fotos im Profil, dachte ich.
    »Du nicht so.«
    »Ich weiß, das ist auch schon uralt. Und ziemlich unscharf. Ich hatte kein anderes. Schlimm?«
    »Nö. Ist ja auch nur ein erster Eindruck, den man durch so ’n Foto kriegt«, log ich. Du Arsch! Ein altes Bild von sich reinzustellen, was sollte das? Dachte er, wenn ich die Frau erstmal treffe, ist sie von meinem Charme so hin und weg, dass ihr mein Aussehen völlig egal ist? Und wenn sie dann noch erfährt, dass ich ein uraltes Bild ins Netz gestellt habe, will sie mich wahrscheinlich direkt heiraten. Für wie doof halten uns die Typen eigentlich? Das war so unsympathisch. Eigentlich sollte ich jetzt schön nach Hause gehen und diesen Penner hier stehenlassen. Aber ich hatte Hunger. Und ich schalt mich selbst als oberflächlich, weil ich mich so von Äußerlichkeiten leiten ließ. Wir hatten doch immer so toll gechattet, er war geistreich und witzig gewesen, wir mochten dieselben Filme und hatten einen ähnlichen Buchgeschmack. Ein bisschen hatte ich ihn sogar bewundert, er war schließlich der einzige Mensch, den ich kannte, der den Zauberberg zu Ende gelesen hatte. Ich selbst hatte ihn ein paar Mal angefangen, jedoch hatte Thomas Mann die dröge Sanatoriumsstimmung so überzeugend beschrieben, dass ich jedes Mal beim Lesen eingenickt war.
    Wir bestellten Pizza. Eigentlich hatte er ganz schöne Augen. Grün. Und eine große Nase. Ich stand inzwischen auf große Nasen, nicht wegen Johannes, nein, wegen Stefan, in den ich wahnsinnig verliebt gewesen war. Der hatte auch eine Riesennase.
    Nicolai erzählte von einem Buch, das er gerade las. Wenn er redete, schwankte sein Kopf immer fast unmerklich von links nach rechts, wie bei einer ägyptischen Tempeltänzerin, nur eben nicht so stark. Es war faszinierend. Ob er es selbst merkte?
    »Magst du Kinder?« Nicolai riss mich aus meinen Gedanken.
    »Äh, phh, findest du das nicht ein bisschen früh?«
    »Wieso, du bist doch auch schon 32?«
    »Ich meine, wir kennen uns gerade mal ’ne halbe Stunde.«
    »Ja, aber so die Basics müssen doch stimmen. Ich hab ja selbst zwei.«
    »Basics?«
    »Kinder.«
    Gottseidank kam in dem Augenblick die Pizza. So hatte ich einen Moment, das eben Gehörte zu verdauen, mich tierisch aufzuregen und mir gleichzeitig zu überlegen, wie ich höflich bleiben konnte.
    »Du hast Kinder? Das steht aber
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