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Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Titel: Drahtzieher - Knobels siebter Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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andere Vorstellungen hatte. Später saßen wir alle unter diesem Baum, in dessen Schatten Lieke wohl so gern lag. Wir haben ein richtiges Picknick gemacht, und es war ein schöner Nachmittag und auch ein schöner Abend. Wir haben uns nett unterhalten. Anne van Eyck und ihr Mann boten mir das Du an. Ich hatte an dem Abend zu viel getrunken. Es war leichtsinnig gewesen, überhaupt etwas zu trinken. Ich trinke sonst kaum etwas. Genauso wie Lieke. Aber es geschah aus einer Laune heraus. Es war die Leichtigkeit dieses Abends, die ich plötzlich empfand, in der ich mich geborgen fühlte und völlig irrational an dem Gedanken Gefallen fand, dass ich eines Tages vielleicht wirklich mit Lieke fest verbunden sein könnte. Ich wurde an diesem Abend von einer Atmosphäre eingefangen, die mich schlicht betäubte. Auf dem Hof war es wie in einer anderen Welt, als seien alle Bindungen aufgehoben, die ansonsten mein Leben bestimmten. Wenn mir Lieke an diesem Abend gesagt hätte, dass wir ab jetzt zusammen auf diesem Hof leben würden und ich mein bisheriges Leben aufgeben sollte, hätte ich es vielleicht getan. Ich war völlig unvernünftig an diesem Abend.«
    Er lächelte unbeholfen. Seuter fand Gefallen an der Vorstellung von einem ganz anderen, viel schöneren Leben, das ihm gutgetan hätte und zu dem er sich nicht zu bekennen wagte.
    »Es war unser schönster Tag«, sagte er leise und zugleich die einzige Nacht, die ich mit Lieke verbracht habe – und die einzige Nacht, in der ich nicht bei meiner Frau und den Kindern war. Ich hatte einen Kollegen überreden können, mir ein Alibi zu liefern. Er sollte bekunden, dass wir die ganze Nacht im Büro verbracht hätten, um ein neues Geschäft vorzubereiten.«
    Seuter hatte feuchte Augen bekommen. Er wandte sich ab und starrte in die weite Landschaft. Hinter ihm dröhnte der Lärm der Autobahn.
    Marie und Stephan ließen ihm Zeit. Seuter wusste, dass der Abend auf dem Hof sein Leben vor eine Entscheidung geführt hatte, deren Chance er erkannt, aber nicht genutzt hatte.
    »Es war alles so irreal einfach in jener Zeit von einem Freitagnachmittag bis zum nächsten Samstagmorgen«, fuhr er fort. »Es war eine wunderbare Nacht mit Lieke, dann ein verträumtes Frühstück im Gras unter dem Baum. Alles war wie Wirklichkeit gewordene Fantasie. Später erschienen Anne und Hermann. Sie aßen noch etwas mit uns, und dann habe ich Hermann geholfen, im Toilettenraum des Büros den Badezimmerschrank neu zu justieren. Er hatte ihn eine Woche zuvor gekauft und schief montiert.«
    »Sie haben den Schrank also unten angefasst?«, fragte Stephan.
    »Unten?« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, ja, ich denke schon. – Warum ist das interessant?«
    Stephan winkte ab. »Nicht wichtig«, sagte er.
    »Ich habe bis dahin nie etwas Handwerkliches gemacht«, erklärte Seuter. »Aber selbst das war auf einmal so normal, der Kontakt unter uns vieren so selbstverständlich und leicht, als würden wir uns schon Jahre kennen. Lieke stand lachend dabei. Sie fühlte sich dort angekommen, wo auch sie im Herzen immer hin wollte. Es waren Momente tiefsten Glücks, und ich empfand erstmals im Leben ebenso. Auf einmal schien alles lösbar: Ich würde meine Frau verlassen, die Kinder regelmäßig besuchen oder sie zu mir nehmen, vielleicht eine neue Arbeit suchen. Es war eine der ganz seltenen Zeiten im Leben, in denen man bereit ist, für eine Sache alles andere zu ändern und in der man in diesen Momenten auch dazu fähig ist.«
    Er hielt inne. Der Begriff der Sache hatte eine andere Bedeutung gewonnen als zu Beginn des Gesprächs. Was anfangs nach kühler und bürokratischer Erledigung klang, barg jetzt das, dessen sich Seuter damals erstmals richtig bewusst geworden war: Er hatte das Glück gefunden.
    »Nach unseren handwerklichen Arbeiten, die uns ins Schwitzen brachten, weil auch Hermann van Eyck darin so unbeholfen ist wie ich, sind wir zum Schwimmen gefahren. Lieke hat mich in ihr Schlafzimmer gezogen, sie hat den Schlafzimmerschrank aufgerissen, und ich musste aus einem dieser Fächer große Badetücher herausziehen. Sie wollte ein Tuch mit großen Blumenmotiven mitnehmen, das sie irgendwann einmal gekauft, aber wohl noch nie gebraucht hatte. Ich weiß, dass ich im Überschwang etwas taumelte und mich innen im Schrank festhalten musste. Dadurch wankte der Schrank, und es purzelte alles Mögliche heraus. Irgendwie war in dieser Zeit alles anders und alle machten etwas, was sie sonst nicht taten. Es war wie
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