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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
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vielen.
    »Mir ist aufgefallen, dass es sicherer ist, die Miene eines Politikers und die Zunge eines Stummen zu haben«, erwiderte ich trocken.
    Meister Tozay lachte. »Eine wohlüberlegte Antwort.« Er sah sich um und zog mich dann in einen schmalen Gang zwischen zwei Geschäften. »Bei dem Anhänger des Jungen handelt es sich um ein Totem der Insulaner, das langes Leben und Mut verleihen soll«, sagte er mir leise ins Ohr. »Und es ist ein Symbol des Widerstands.«
    »Gegen den Kaiser?«, flüsterte ich zurück, obwohl ich wusste, wie gefährlich meine Worte waren.
    »Nein, Kind. Gegen die wirkliche Macht im Reich der Himmlischen Drachen – gegen Großlord Sethon.«
    Sethon war der Bruder des Kaisers, der Sohn einer Konkubine. Die alten Sitten hätten verlangt, dass der Kaiser nach der Thronbesteigung seinen Bruder Sethon und alle anderen männlichen Nachkommen, die sein Vater mit Konkubinen gezeugt hatte, töten ließ. Doch unser Kaiser war ein aufgeklärter Mann, ein gebildeter Mann. Er verschonte das Leben seiner acht jüngeren Brüder. Er machte sie zu seinen Generälen und ernannte Sethon – den Ältesten – sogar zum Oberbefehlshaber. Unser Kaiser war auch ein vertrauensseliger Mann.
    »Aber Großlord Sethon führt die Armeen an. Was können Insulaner gegen solche Macht ausrichten?«, fragte ich.
    Meister Tozay zuckte die Achseln. »Nicht viel. Aber es gibt andere, Mächtigere, die dem Kaiser und seinem Sohn immer noch treu ergeben sind.« Er hielt inne, als eine alte Frau an der Ladenluke neben uns stehen blieb und die feilge botenen Hefekuchen prüfte. »Kommt, dies ist nicht der richti ge Ort für dieses Gespräch«, sagte er leise. »Wenn es überhaupt einen richtigen Ort dafür gibt.« Er richtete sich auf. »Ich habe Lust auf einen Krapfen. Und Ihr?«
    Ich hätte ihn gern gefragt, wer sich gegen Großlord Sethon erhob, doch das Thema war eindeutig beendet. Und ich hatte sehr lange keinen Krapfen mehr gegessen – für solche Ausschweifungen gab es im Haushalt meines Meisters kein Geld.
    »Ich sollte nicht trödeln …«, begann ich.
    »Kommt, das dauert nicht lange. Wir essen sie im Gehen. Könnt Ihr mir einen Verkäufer empfehlen?«
    Ich nickte. Einen Krapfen zu essen, würde tatsächlich nicht lange dauern. Ich entdeckte eine Lücke in der langsam gehen den Menge und führte Meister Tozay zur Ecke des Wolkenmarkts. Dort ging es geschäftiger zu als sonst, denn die Nachmittagssonne trieb die Leute in den Schatten der großen weißen Seidensegel, die zwischen geschnitzten Stangen aufgespannt waren. Wir kamen an Ari dem Fremden vorbei, der an seinem Kaffeestand einige Kaufleute bediente; der schwere Duft des exotischen schwarzen Getränks hing in der Luft. Ari hatte mir einmal eine Schale davon zu trinken gegeben, und ich hatte den kräftigen, bitteren Geschmack und das leichte Schwirren ge mocht, das er in meinem Kopf verursachte. Ich berührte Meister Tozay am Arm und zeigte auf den Kuchenstand links von uns, an dessen Tresen sich die Kunden drängten.
    »Die mit den roten Sojabohnen sollen hier sehr gut sein«, sagte ich und stellte mich dabei auf die Zehenspitzen, um die Tabletts mit den säuberlich aufgereihten Krapfen sehen zu können.
    Der nussartige Geruch von Sojapaste und süßem Teig breitete sich in einem heißen Schwall in alle Richtungen aus. Gieriger Hunger gesellte sich zu meinen Bauchschmerzen. Meister Tozay nickte und schaffte es, sich mit höflicher Verbeugung vor eine Frau zu schieben, die sich nicht entscheiden konnte. Als ich seinen breiten Rücken und den sonnengebräunten Nacken betrachtete, stieg eine weitere Erinnerung in mir auf: daran, wie ich auf den Schultern eines großen Mannes getragen wurde und die salzige Wärme seiner von der Sonne gegerbten Haut an der Wange gespürt hatte. Doch erneut gelang es mir nicht, das flüchtige Bild festzuhalten. War es eine Erinnerung an meinen Vater gewesen? Ich hatte keine klare Vorstellung mehr davon, wie er ausgesehen hatte. Im nächsten Moment drehte Meister Tozay sich um und hielt in jeder Hand einen in rotes Papier gewickelten Krapfen.
    »Bitte schön«, sagte er. »Aber passt auf. Der Verkäufer hat gesagt, sie seien eben erst aus dem heißen Fett gekommen.«
    »Danke, Sir.« Der Krapfen war sehr heiß, und es wäre wohl das Beste gewesen abzuwarten, bis er abgekühlt war, doch sein Duft war einfach zu verlockend. Ich biss hinein und schob das heiße Gebäck hektisch im Mund herum.
    »Schmackhaft«, sagte Meister Tozay und
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