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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
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in seinem gebräunten Gesicht standen ernste Falten. Ich vergewisserte mich mit einem raschen Blick, ob er bewaffnet war: Er trug ein Messer am Gürtel. Das würde reichen.
    »Ich bin in die gleiche Richtung unterwegs, Sir«, sagte ich und wies in die Gasse auf der anderen Straßenseite. Es war nicht genau die Richtung, in die er wollte, dieser Weg würde ihn aber immer noch schneller zu seinem Ziel fuhren, als wenn er die Hauptstraßen nähme. Er lächelte und folgte mir.
    »Ich bin Tozay, der Meisterfischer von Kan Po«, sagte er und blieb am Eingang der Gasse stehen. Er faltete die Hände und nickte, wie Erwachsene es Kindern gegenüber gern tun.
    Aufgrund meiner Beschäftigung mit Kraftlinien wusste ich, dass Kan Po an der Küste lag und einen der herrlichsten Häfen des Reichs besaß. Er war wie eine Geldbörse geformt und von sieben Hügeln umgeben, die das Glück festhielten, sodass es das Schicksal von jeher gut mit der Stadt meinte. Von Kan Po aus gelangte man überdies zu den Inseln und noch weiter.
    »Ich bin Eon, Anwärter für das Drachenauge.« Ich verbeugte mich erneut.
    Er starrte auf mich herunter. »Eon? Der lahme Anwärter?«
    »Ja«, sagte ich ungerührt.
    »Na, wenn das nichts ist.« Er machte die Verbeugung der »Ehrerbietung beim ersten Kennenlernen«.
    Ich nickte verlegen, denn darauf war ich nicht gefasst.
    »Wir haben vom Nachrichtenboten alles über Euch erfahren«, sagte Meister Tozay. »Er ist vor ein paar Monaten durch unser Städtchen gekommen und hat uns erzählt, der Drachenrat habe beschlossen, dass Ihr Euch den Spiegeln nähern dürft. Meinem Sohn hat es sehr gutgetan, das zu hören. Er ist ein Jahr jünger als Ihr und gerade elf geworden. Eigentlich hätte er mit mir zum Fischen aufs Meer fahren und sein Handwerk lernen sollen, doch er hat im letzten Winter bei einem Unfall mit dem Netz einen Arm verloren.« Kummer trat in das runde Gesicht von Meister Tozay.
    »Das muss sehr schwer für ihn sein«, sagte ich.
    Ich sah auf mein verdrehtes Bein hinunter – wenigstens tat es noch seinen Dienst. Ich wusste kaum noch etwas von dem Unfall, bei dem meine linke Hüfte zerschmettert worden war, doch ich erinnerte mich genau daran, wie der Arzt eine rostige Säge über mich hielt und überlegte, wo er amputieren sollte. Er wollte das ganze Bein abnehmen, aber mein Meister ging dazwischen und rief den Knochenrichter. In manchen Momenten konnte ich immer noch den Gestank nach Blut und faulendem Fleisch riechen, den die krummen Zähne des Sägeblatts verströmten.
    Wir gingen wieder weiter. Ich schielte verstohlen zum anderen Ende der Gasse hinüber. Die Hafenjungen hatten bereits eine Reihe gebildet und beobachteten mich aufmerksam. Meister Tozay neben mir straffte sich, als er die herumlungernde Bande sah.
    »Es ist hart für ihn. Und für die Familie auch«, sagte er und strich mit den Fingern über das Heft seines Messers. »Wartet. Ich habe einen Stein im Schuh«, sagte er laut und blieb stehen.
    Ich drehte mich um und sah zu, wie er sich bückte und einen Finger in seinen ramponierten Stiefel schob.
    »Ihr seid gewitzt, nicht wahr?«, fragte er leise. »Also gut, wenn Ihr einen Leibwächter wollt, solltet Ihr besser auf meiner anderen Seite gehen.« Sein Blick verwandelte seine freundlichen Worte in einen Befehl, doch er wirkte nicht verärgert. Ich nickte und glitt links neben ihn.
    »Ich hoffe bloß, Ihr führt mich nicht zu weit von meinem Ziel fort«, sagte er, als er sich wieder aufrichtete, ohne die Jungen aus den Augen zu lassen.
    »Das ist wirklich eine Abkürzung«, gab ich zurück.
    Er warf mir einen raschen Seitenblick zu. »Aber eher für Euch als für mich, was?«
    »Für uns beide. Aber vielleicht etwas mehr für mich.«
    Er brummte amüsiert und legte mir die Hand auf die Schulter. »Bleibt dicht bei mir.«
    Wir gingen auf die Gruppe zu, wobei Meister Tozay kleinere Schritte machte, um sich meinem langsamen Tempo anzupassen. Der größte Junge – ein gedrungener Kerl mit der dunklen Haut und stiernackigen Kraft der Insulaner – kickte uns lässig einen Stein in den Weg. Er hüpfte übers Pflaster und verfehlte meinen Fuß nur knapp. Seine drei Freunde lachten. Es waren Stadtjungen, schlank, gerissen und von jenem Wagemut erfüllt, der kein Ziel hat und daher stets einen Anführer braucht. Der Inseljunge hob einen großen Stein auf und rieb mit dem Daumen darüber.
    »Tag, Jungs«, sagte Meister Tozay.
    Der Insulaner spuckte zerkaute Tanninblätter aus und das faserige
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