Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
Vom Netzwerk:
Abkürzung. Sofern er leer war. Ich legte die Hand an die Augen, um das Sonnenlicht abzuschirmen, und musterte die schmale Gasse. Sie schien sicher zu sein, keine Hafenjungen, die sich eine eilige Pfeife teilten oder zum Zeitvertreib einen Humpelnden jagen wollten. Ich machte einen Schritt auf die Gasse zu, zögerte dann aber, weil eine vertraute Bewegung durch die Menge ging: Leute drängten zum Straßenrand und fielen dort auf die Knie und das Gerede verstummte plötzlich.
    »Macht Platz für Lady Jila. Platz für Lady Jila.«
    Die Stimme war hoch, doch es war ein Mann, der da rief. Eine kunstvoll geschnitzte Sänfte bewegte sich auf den Schultern von acht schwitzenden Männern die Straße hinunter; ihr Passagier war hinter violetten Seidenvorhängen verborgen. Zwölf Wächter in violetten Gewändern und mit gebogenen Schwertern bildeten ein schützendes Viereck um die Sänfte: die Schattenmänner, die Soldaten-Eunuchen des Kaiserhofs. Sie waren stets bereit, Leute, die nicht schnell genug beiseitegesprungen waren oder sich nicht rasch genug verbeugt hatten, niederzuschlagen. Ich ließ mich auf mein gesundes Knie sinken und zog mein lahmes Bein unter mich. Lady Jila? Sie musste sich der besonderen Gunst des Kaisers erfreuen, sonst hätte sie den Palastbezirk nicht verlassen dürfen. Ich senkte den Oberkörper zur höfischen Verbeugung.
    Ein stämmiger Mann in Beinlingen und dem Ölzeug eines Seefahrers richtete sich neben mir auf und beobachtete den nahenden Zug. Wenn er sich nicht verneigte, würde er die Aufmerksamkeit der Wächter erregen. Und die achteten nicht weiter darauf, wen sie beim Zuschlagen trafen.
    »Das ist eine Hofdame, Sir«, flüsterte ich ihm dringlich zu. »Ihr müsst Euch verbeugen. So wie ich.«
    Er warf mir einen Seitenblick zu. »Denkst du, sie verdient unseren Respekt?«, fragte er.
    Ich runzelte die Stirn. »Wie meint Ihr das? Sie ist eine Hofdame – da kommt es nicht darauf an, was sie verdient. Wenn Ihr Euch nicht verbeugt, wird man Euch bestrafen.«
    Der Seefahrer lachte. »Du hast eine sehr sachliche Art, das Leben zu sehen. Ich werde deinen Rat annehmen.« Er senkte die Schultern und lächelte dabei noch immer.
    Ich hielt den Atem an, als die Sänfte vorbeiglitt, und der aufwirbelnde Staub ließ mich blinzeln. Ein wenig weiter hörte ich ein Schwert auf Haut klatschten: Der voranschreitende Wächter hatte einen Kaufmann, der zu langsam gewesen war, niedergeschlagen. Die Sänfte verschwand hinter der nächsten Ecke und ein allgemeines Aufatmen und Schütteln der Glieder lief durch die Menge. Die Gespräche wurden lauter, als die Menschen sich erhoben und sich den Staub von den Gewändern strichen. Ich stützte die Hände auf den Boden, zog mein Bein hervor und machte mich daran aufzustehen. Plötzlich spürte ich unter jeder Achsel eine große Hand, die mich hochzog.
    »Bitte sehr, Junge.«
    »Fasst mich nicht an!« Ich sprang mit verschränkten Armen zurück.
    »Schon gut«, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte mich bloß für deinen Gefallen revanchieren. Du hast mich vor einem Schwertschlag auf den Rücken bewahrt.«
    Er roch nach Tran, altem Schweiß und Seetang. Eine Erinnerung durchzuckte mich: Ich sah mich ein langes Band schwarz schillernden Tangs hochheben und meine Mutter nicken, lächeln, den Tang aufwickeln und ihn in den Korb legen, den sie sich an den schlanken Leib gebunden hatte. Dann war das Bild wieder verschwunden. Wie alle anderen Erinnerungen an die Familie war es so flüchtig aufgetaucht, dass ich es nicht hatte festhalten können.
    »Es tut mir leid, Sir, aber Ihr habt mich überrascht«, sagte ich und schlang mir die Arme noch fester um den Leib. »Danke für Eure Hilfe.« Ich verbeugte mich höflich und schritt davon. Noch immer spürte ich seine zupackenden Hände auf meiner Haut.
    Die Gasse auf der anderen Straßenseite war nun nicht mehr leer. Ein paar Hafenjungen hatten sich am anderen Ende versammelt und sich zu einem Würfelspiel niedergehockt. Ich würde den längeren Weg nehmen müssen. Wie aus Protest wurde mein Hüftschmerz stärker.
    Der Seefahrer trat erneut neben mich. »Vielleicht hilfst du mir noch ein zweites Mal«, sagte er höflich. »Kannst du mir sagen, wie ich zum Tor der Beamten komme?«
    Er sah mich fragend an, seine Miene war frei von Argwohn. Ich schaute erneut zu den Hafenjungen hinüber, dann wieder zu dem Seefahrer. Er war nicht übermäßig groß, hatte aber einen kräftigen Brustkorb und starke Schultern, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher