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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
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Ich hob die Schwerter zum über den Kopf geführten Streich, mit dem der Umgekehrte Zweite Pferdedrache begann, und führte das linke Schwert flach nach unten, um nirgendwo anzustoßen.
    »He, fuchtele mit den Dingern nicht hier drinnen herum!«, herrschte mich der Wächter an.
    Ich trat zu ihm und senkte dabei die Schwerter.
    »Verzeihung, Wächter«, sagte ich eilig zu dem bleichen, dünnen Mann, der es liebte, uns Vorträge zu halten. Ich reich te ihm die Griffe mit zu Boden weisenden Klingen und sah, wie seine Faust sich kurz zum Zeichen gegen das Böse ballte, ehe er die Schwerter nahm.
    »Irgendwelche Beschädigungen?«, fragte er und hielt eine Waffe flach vor sich hin, um die Klinge zu prüfen.
    »Nein, Wächter.«
    »Das sind nämlich kostbare Instrumente, keine Spielsachen. Die musst du mit Respekt behandeln, statt drinnen mit ihnen herumzufuhrwerken. Wenn das jeder –«
    »Danke, Wächter«, sagte ich und zog mich zurück, ehe er richtig in Fahrt kommen konnte. Er redete noch, als ich die Stufen bereits erklommen hatte.
    Der einfachste Weg, um die Schule zu verlassen, führte zurück über die Arena und durchs Haupttor, doch ich wollte nicht noch einmal durch den Sand laufen oder Rannes Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Stattdessen nahm ich den steilen Pfad zum Südtor der Schule hinunter. Meine linke Hüfte schmerzte vom Training und das Ziehen in meinem Unterleib raubte mir den Atem. Als ich das Südtor erreichte und von dem gelangweilten Wächter durchgelassen wurde, schwitzte ich, weil ich mich so anstrengen musste, um nicht laut aufzuschreien.
    Die Straße hinter der Schule lag am Rand des Marktes. Gut ein Dutzend Läden befanden sich hier. Der Geruch von brutzelndem Schweinefett und kross gebratener Ente lag schwer in der Luft. Ich lehnte mich an die Schulmauer, ließ die Steine meinen Rücken kühlen und beobachtete, wie sich ein Mädchen in der blauen Schürze einer Küchenmagd durch Trauben plaudernder Marktbesucher drängte und am Tresen des Schweinefleischverkäufers stehen blieb. Sie war etwa sech zehn Jahre alt – also in meinem wahren Alter –, und ihr dunkles Haar war zu jenem einfach gedrehten Zopf aufgesteckt, der sie als unverheiratetes Mädchen auswies. Ich griff nach meinem kurzen schwarzen, auf Anwärterlänge gestutzten Zopf. Sollte ich am nächsten Tag erwählt werden, würde ich mir die Haare bis zur Taille wachsen lassen, um sie zu dem doppelt gedrehten Zopf binden zu können, wie die Drachenaugen ihn trugen.
    Das Mädchen zeigte mit noch immer gesenktem Blick auf eine geräucherte Keule in der Auslage. Der junge Lehrling packte das Fleisch ein und legte es auf die Theke. Erst als er einen Schritt zurückgetreten war, legte das Mädchen die Münze neben das Päckchen und nahm das Fleisch. Keine Unterhaltung, kein Blickkontakt, keine Berührung – es verlief alles sehr sittsam. Und doch spürte ich, dass zwischen den beiden etwas war.
    Obwohl ich wusste, dass es sich nicht gehörte, kniff ich die Augen zusammen und konzentrierte mich auf die beiden, wie ich es auch mit den Drachen tat. Erst merkte ich nichts. Dann fühlte ich eine seltsame Veränderung in meinem geistigen Auge, als würde ich näher treten, und dann leuchtete ein Schwall orangefarbener Energie zwischen dem Mädchen und dem Jungen auf und umwirbelte die beiden wie ein kleiner Monsun. Etwas schlug mir auf den Magen und aufs Gemüt. Ich blickte zu Boden, fühlte mich wie ein Eindringling und blinzelte meine Vision weg. Als ich wieder zu den beiden hinsah, wandte sich das Mädchen bereits zum Gehen. Von der Energie, die die beiden eben noch umgeben und deren pulsierendes Licht in meinem Geist ein gleißendes Nachbild hinterlassen hatte, war nichts mehr zu sehen. Warum konnte ich plötzlich derart intime menschliche Energien wahrnehmen?
    Weder mein Meister noch meine Lehrer hatten je davon gesprochen. Um Gefühle ging es nicht bei der Drachenmagie. Es überlief mich heiß; wieder ein Geheimnis, das es vor der Welt zu verbergen galt. Ich drückte mich von der Wand ab, um mir Bewegung zu verschaffen und den Nachgeschmack von Macht und Scham loszuwerden.
    Das Haus meines Meisters lag drei Straßen weit entfernt und der Weg führte ständig bergauf. Das vertraute Ziehen in der Hüfte, wie ich es immer hatte, wenn ich mich zu sehr anstrengte, war stärker geworden und warnte mich. Ich brauchte ein heißes Bad, falls ich die Angriffssequenz noch trainieren wollte. Der Gang neben dem Laden des Fleischverkäufers war eine gute
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