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Drachen-Mädchen

Titel: Drachen-Mädchen
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du gerade schon mal gesagt«, unterbrach ihn Chem. »Dein Vater ist also der Himmel, und er ist zornig auf dich. Wann hast du ihn denn erzürnt?«
    Diese Frage verblüffte den Zyklopen. Er begann, die Jahre an seinen riesigen Fingern abzuzählen.
    »Vor so vielen Jahren?« fragte Irene.
    »Jahrhunderten«, sagte der Zyklop und zählte an seiner anderen Hand weiter.
    »Jahrhunderte!« rief Chem. »Eure Art muß aber lange leben!«
    Brontes zuckte mit den Schultern. »Dann und wann ein Schluck Lebenswasser; Born nicht weit. Aber nicht lang, wenn vom Himmel zu sehen!«
    »Hast du es denn überhaupt mal versucht, bei Tag hinauszugehen?« wollte die Zentaurin wissen.
    »Wage nicht, bei Tag auszugehen.«
    »Hört mal«, mischte sich Irene ungeduldig ein, »Xanth droht gerade eine fürchterlich schlimme Gefahr, und wir brauchen jede erdenkliche Hilfe. Hast du schon mal von den Zapplern gehört?«
    »Zappler!« rief Brontes. »Oft, oft, seit Zeit begann! Sehr böse!«
    »Sie schwärmen gerade wieder aus. Wenn du nicht rauskommst und uns hilfst, sie aufzuhalten, haben sie diese Höhle möglicherweise schon bis zum Abend durchlöchert. Nachts kann man sie noch schwerer bekämpfen, weil sie kaum zu sehen sind. Du kannst dir also aussuchen, welches Risiko du eingehen willst – den Himmel oder die Zappler.«
    »Muß Brüder warnen!« rief Brontes. »Steropes und Arges auch in Gefahr! Erst gestern abend gefunden.«
    Irene überlegte kurz, weshalb Brontes seine Brüder erst letzte Nacht gefunden hatte, aber dafür war jetzt keine Zeit. »Tu das«, sagte sie. »Aber erst einmal mußt du deine Höhle verlassen.«
    »Aber der Himmel…«
    »Vergiß gefälligst den Himmel!« fauchte Irene. »Komm raus und sieh dir an, was los ist! Wenn du dabei nicht niedergestreckt wirst, weißt du, daß du in Sicherheit bist. Ist schließlich alles schon reichlich lange her.«
    Das große Auge des Ungeheuers erhellte sich. »Wahr. Lange her.« Brontes streckte einen Fuß vor die Höhle, doch dann zögerte er wieder. »Aber wenn Himmel zuschlägt…«
    »Dann brauchst du dir wenigstens keine Gedanken mehr über die Zappler zu machen.«
    Von dieser Logik überwältigt – wenngleich er noch einige Zweifel zu hegen schien – trat der Zyklop aus seiner Höhle und duckte sich vor dem Licht, einen Donnerkeil befürchtend, der ihn niederstrecken könnte. Doch es fiel nur Sonnenlicht auf ihn.
    »Offenbar hat der Himmel dich schon längst vergessen«, meinte Chem.
    Brontes spähte empor, das Auge mit einer Hand abschirmend, erstaunt und erleichtert zugleich. »Lange her«, wiederholte er. »Oh, jetzt auch Brüder befreien! Alle gegen Zappler kämpfen!« Er blickte um sich. »Nicht so gut sehen wie als Ivy-Mädchen half. Wo sind Zappler?«
    »Ungefähr ost-nordöstlich von hier, nehmen wir an«, erwiderte Chem. »Wir haben nur den äußeren Rand des Schwarms gestreift und ihn noch nicht genau geortet. Aber er ist nicht sehr weit – und er kommt immer näher!«
    »Die Kinder!« sagte er. »Gehen genau drauf zu!« Dann jagte er in Richtung Westen davon, um seine Brüder zu suchen.
    »Er hat recht!« rief Irene entsetzt. »Die Kinder müssen schon nahe am Schwarm sein! Beeilen wir uns!«
    Sie beeilten sich. Irene wünschte sich, daß Grundy noch bei ihnen wäre, denn er hätte die frische Spur durch Befragung der Pflanzen bestätigen können. Doch sie konnten nicht erst auf ihn warten. Die Bedrohung durch die Zappler duldete keinen Aufschub.
    Beim Reiten begann Irene in einen Tagraum zu verfallen. Das war sehr ungewöhnlich, weil sie eine praktisch denkende Frau war; immerhin mußte sie ständig aufpassen, daß Dor nicht das ganze Königreich ungewollt dem Verderben auslieferte. Doch nun, auf dem Höhepunkt einer Gefahr, die sowohl ihr Kind als auch ganz Xanth bedrohte, ertappte sie sich bei einem Tagtraum. Sie mußte müder sein, als sie geglaubt hatte.
    Sie erinnerte sich an ihre Mitwirkung bei der letzten Verteidigung Xanths gegen die mundanische Nächstwelle – die jetzt natürlich Letztwelle hieß, aber alte Denk- und Sprachgewohnheiten waren hartnäckig – als sie für eine kurze Weile König von Xanth geworden war. König, weil es in Xanth keine regierenden Königinnen geben durfte. Der Schlüssel zum Sieg war die Nachtmähre Imbri gewesen, der zu Ehren man ein Denkmal errichtet hatte, weil sie ihr physisches Leben zum Wohle Xanths geopfert hatte und zu einem Taggeist, einer Tagmähre geworden war, welche…
    »Mähre Imbrium!« rief Irene plötzlich.
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