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Dornröschens Erlösung

Dornröschens Erlösung

Titel: Dornröschens Erlösung
Autoren: Anne Roquelaure
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Jahrmarktstag zu ziehen, wenn
das ganze Dorf zusah. Das war es, wozu sie „geboren“ waren. Ich dachte und
fühlte bald ähnlich, ohne es jedoch vollkommen zu tun. Denn trotz allem liebte
ich die anderen Bestrafungen ebenso. Aber ich vermisste sie nicht. Ich war
glücklicher mit meinem Zaumzeug und Knebel als ohne all das. Und während die
anderen Bestrafungen auf dem Schloss oder im Dorf dazu führten, die Sklaven
voneinander zu trennen, schmiedete uns das Leben als Ponys eng zusammen. Jeder
verstärkte die Lust oder Pein des anderen.
    Ich gewöhnte mich an all die Stalljungen, an ihre herzliche
Begrüßung und ihre Reaktionen. Sie waren Teil dieser kameradschaftlichen
Gemeinschaft, selbst wenn sie uns peitschten oder quälten. Und es war kein
Geheimnis, dass sie ihre Arbeit liebten. Tristan schien ebenso zufrieden zu
sein wie ich, und auf dem Erholungshof gab er dies zu. Die Dinge waren für ihn
härter, denn er war von Natur aus freundlicher als ich. Doch die wahre Prüfung
und wirkliche Veränderung kam für ihn, als sein früherer Herr, Nicolas, anfing,
sich bei den Ställen aufzuhalten.
    Zunächst sahen wir Nicolas nur gelegentlich, wenn er
zufällig am Hof für die Kutschen vorbeiging. Und obwohl ich nie großes
Interesse an ihm hatte, merkte ich nun, dass er ein charmanter und aristokratischer
Mann war. Sein weißes Haar verlieh ihm einen besonderen Glanz; er war stets in Samt
gekleidet, und das Spiel seiner Miene weckte Angst in den Ponys, besonders bei
denen, die seine Kutsche schon einmal gezogen hatten. Nach einigen Wochen der
schweigsamen Besuche sahen wir ihn jeden Tag am Tor. Er stand schon am Morgen
dort und beobachtete uns, wenn wir hinaus trotteten, und er stand dort am Abend,
wenn wir zurückkamen. Und auch wenn er vorgab, alles und jeden um sich herum zu
beobachten, waren seine Augen nur auf Tristan geheftet.
    Eines Nachmittags schließlich schickte er nach Tristan, damit
er einen kleinen Karren für ihn zum Markt zog. Genau die Sorte von Aufgabe, die
meine Seele gefrieren ließ. Ich war besorgt um Tristan. Nicolas würde dicht
neben ihm gehen und ihn quälen. Ich hasste es, Tristan vor diesen Karren
gespannt zu sehen. Nicolas stand dabei, eine lange, steife Peitsche in der Hand.
Er musterte Tristan, als dieser geknebelt und aufgezäumt wurde. Dann peitschte
er seine Schenkel hart, und sie fuhren vom Hof. Wie schrecklich für Tristan, dachte
ich. Er ist zu gutmütig. Wenn er stark wäre, wüsste er, wie er mit diesem
herrischen Schuft zurechtkommen könnte. Wie es schien, hatte ich mich gründlich
getäuscht. Nicht, was Tristans fehlende innere Stärke betraf, sondern in Bezug
auf die schrecklichen Dinge, die ich Nicolas zutraute.
    Tristan kehrte nicht vor Mitternacht zu den Ställen zurück. Und
nachdem er gefüttert, massiert und eingeölt worden war, erzählte er mir leise, was
sich zugetragen hatte: „Du weißt, wie sehr ich mich vor ihm gefürchtet habe“, begann
er, „weil ich ihn doch so sehr enttäuscht hatte.“
    „Ja.“
    „Während der ersten paar Stunden peitschte er mich ohne
Gnade quer über den ganzen Markt. Und ich versuchte, kühles Blut zu bewahren, und
bemühte mich, stets nur daran zu denken, ein gutes Pony zu sein und in ihm nur
ein Teil des Ganzen zu sehen. Doch ich erinnerte mich daran, wie es war, als
wir uns geliebt hatten. Um die Mittagszeit wusste ich, dass ich dankbar war, dankbar
allein dafür, ihm nahe zu sein. Wie erbärmlich es doch war. Er hörte nicht auf,
mich zu peitschen, ganz gleich wie gut ich trottete. Und er sagte kein einziges
Wort.“
    „Und dann?“ fragte ich.
    “Am späten Nachmittag, nachdem ich getränkt worden war und
am Rande des Marktplatzes ein wenig gerastet hatte, fuhren wir die Hauptstraße
hinauf - direkt bis vor seine Tür. Natürlich erinnerte ich mich an das Haus. Ich
erkannte es jedes Mal, wenn wir daran vorbeifuhren. Und als ich bemerkte, dass
er mich vom Karren losband, meinte ich, mir würde das Herz stehenbleiben. Er beließ
mir Knebel und Zaumzeug und peitschte mich durch die Eingangshalle und hinauf
in seine Gemächer.“
    Ich fragte mich, ob das nicht verboten war. Aber was machte
das schon? Was konnte ein Pony tun, wenn sich derartige Dinge zutrugen?
    “Nun, da war das Bett, in dem wir uns geliebt hatten, die
Kammer, in der wir miteinander geredet hatten. Und ich musste mich mit dem
Gesicht zu seinem Schreibpult auf den Boden hocken. Und dann begab er sich
hinter sein Pult und sah mich an, während ich wartete. Du kannst
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