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Dollbohrer!

Dollbohrer!

Titel: Dollbohrer!
Autoren: Hendrik Nachtsheim
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herausziehen, damit sich das Tor wieder richtig schließen ließ. Routiniert kniete er sich hin, krempelte die Ärmel seines alten Wollhemdes hoch, um mit seinen Händen nach dem Stamm zu fischen. Und schon hatte er ihn.
    »Ui«, schoss es ihm durch den Kopf, denn das hier war nicht nur was Größeres, sondern zudem auch noch was, das sich für ein Stück Holz recht heftig bewegte. Aber da er bislang ein komplett unfallfreies Leben ohne böse Überraschungen geführt hatte, war er durch und durch angstfrei. Also griff er beherzt zu, um das Ding an Land zu ziehen.
    »Bestimmt ein Barsch oder ein Karpfen, nee … eher ein Wels …«
    Das Wasser spritzte, und für einen Moment konnte er nichts mehr sehen. Spürte nur, dass der große Fisch versuchte, sich durch heftige Bewegungen aus seinem Griff zu befreien. Mit einem für ihn ausgesprochen sportlichen Schwung warf er ihn einfach über seinen Kopf hinweg auf den Uferrand. Dann drehte er sich um und staunte nicht schlecht. Da lag nämlich weder Barsch noch Karpfen! Sondern eine Meerjungfrau, die ihn jetzt unsicher anschaute. »Nee«, sagte Dick und betrachtete seinen ungewöhnlichen Fang. Für einige Minuten starrten sich beide an. Dann setzte sich Dick, für ihn ungewöhnlich kommunikativ, direkt neben sie.
    »Dick«, murmelte er.
    »Moby!«, antwortete die Seejungfrau.
    Erneut vergingen weitere Minuten, in denen sie einfach nur dasaßen, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Beim erneuten Betrachten bemerkte er aber, dass sich Moby anscheinend in der Schleuse an der Flosse verletzt hatte.
    »Du blutest.«
    Die Seejungfrau nickte.
    »Ja, das stimmt!«
    Dick gefiel die knappe Antwort. Angestrengt überlegte er, was nun zu tun sei. Eine verletzte Nixe durfte man ja nicht so ohne Weiteres zurück ins Wasser werfen. Aber sollte er sie deswegen mit nach Hause nehmen? Denn schließlich war sie weiblich – und konnte sprechen! Dass sie im Moment nicht viel sagte, konnte ja durchaus ein Täuschungsmanöver sein! Und wenn er sie doch aufnähme … wo sollte sie schlafen? Er hatte nur diese kleine und vollkommen meerjungfrauenuntaugliche Sitzbadewanne. Und was würden die Nachbarn sagen? Da hatte er noch nie was mit einer Frau gehabt, und plötzlich wohnte er mit so einer zusammen!
    Die Fragen und Zweifel purzelten nur so durch sein Gehirn. Was würde aus seinen häuslichen Ritualen und Gewohnheiten? Das mit dem musikalischen Begleitfurzen zu Stücken, die im Radio liefen, konnte er natürlich vollkommen vergessen, wenn da noch jemand wäre. Wobei er wirklich gut darin war, und bezüglich der musikalischen Stilrichtungen ausgesprochen flexibel. Erst vor ein paar Tagen hatte er direkt hintereinander erst »Bohemian Rhapsody« von »Queen« und »A Girl like me« von Rihanna so treffsicher begleitet, dass die Interpreten mit Sicherheit ihre große Freude daran gehabt hätten. Aber trotzdem … Und wie würde jemand reagieren, wenn er seine Sammlung mit den Wurstschnüren fand. Die schnitt er nämlich schon seit über zwanzig Jahren vorne vom Kopf oder eben auch hinten vom Ende einer jeden Fleischwurst ab und klebte sie in große Alben in rosafarbenen Einbänden. Gut, den Tick, beim morgendlichen Geschäftverrichten die kleinen Kacheln im Bad zu zählen, verbunden mit dem Beschluss, sich, wenn es eines Tages plötzlich eine weniger sein sollte, das Leben zu nehmen, das würde von sich aus niemand merken. Aber wenn es tatsächlich mal dazu kommen würde, und er müsste sich aufgrund seiner inneren Abmachung verabschieden, dann wollte er dabei allein sein und nicht vielleicht davon abgehalten werden. Nein, eine Mitbewohnerin war einfach keine gute Idee.
    Obwohl seine Gemütsregungen bestenfalls an den mahlenden Backenknochen erkennbar waren, schien Moby seine Gedanken doch zu ahnen.
    »Das mit der Verletzung ist nicht so schlimm, wir verletzen uns öfters mal da unten im Wasser«, sagte sie mit beruhigendem Lächeln.
    Gott sei Dank! Dick seufzte erleichtert.
    »Wie viele gibt es denn von euch?«, fragte er, während er überlegte, wann er das letzte Mal einen so unglaublich langen Satz gesprochen hatte.
    »Vielleicht um die tausend …«
    »Ui!«
    »Weltweit!«
    »Jo!«
    Für Dick war das ein ausreichendes Maß an Information. Natürlich hätte man diese einmalige Gelegenheit nutzen und jetzt noch fragen können, wie es sich überhaupt so lebt als Seejungfrau. Wie das mit der Fortpflanzung war, ob Wale zu ihren Freunden oder Feinden gehörten oder ob sie sich sogar mal in einen
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