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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne
Autoren: Jo Nesbø
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dem Stoff des Rollos zu einer Reihe beineschleudernder Cancan-Tänzerinnen. Und während Lise zusah, dachte sie an Doktor Proktors Geschichte, wie Juliette vor so vielen Jahren aus seinem Leben verschwunden war:
    Juliette und Doktor Proktor hatten sich in Paris ineinander verliebt. Nach ein paar Wochen klopfte Juliette eines Nachts an seine Tür in der Pension, in der er wohnte. Er freute sich maßlos, als sie klipp und klar fragte, ob er sie heiraten wolle. Aber er staunte, weil sie verlangte, dass sie sich sofort, noch gleich in dieser Nacht, aufs Motorrad setzten und nach Rom fuhren, um sich dort trauen zu lassen. Den Grund für diese Eile wollte Juliette nicht nennen, also packte Proktor ohne weitere Nachfragen seinen einzigen Anzug ein und startete sein Motorrad. Er hatte nämlich einen Verdacht, worum es ging. Juliettes Vater war ein Baron. Und obwohl seine Familie schon lange nicht mehr reich war, fand der Baron wohl, ein ziemlich verkrachter norwegischer Erfinder sei nicht die richtige Partie für Baronesse Juliette. Jetzt aber fuhren Juliette und Proktor durchs nächtliche Frankreich, um zu heiraten. Gerade erreichten sie eine Brücke, die Grenze zu Italien, kurz nachdem sie in einem Dorf aufgetankt hatten. Da geschah es. Nur, was genau geschah, das hatte Proktor nie richtig herausgefunden. Ihm wurde schwarz vor Augen, und als er wieder aufwachte, lag er auf dem Asphalt und hatte Halsweh. Juliette beugte sich weinend über ihn und hinter ihr sah er eine schwarze Limousine heranrollen. Juliette sagte, das sei der Wagen des Barons und sie müsse mit ihrem Vater allein reden. Proktor solle auf die andere Seite der Grenze fahren und dort auf sie warten. Verwirrt und noch halb benommen, tat Proktor, was sie sagte. Als er aber am Ende der Brücke das Motorrad wendete, sah er, wie Juliette in die Limousine stieg, die zurücksetzte, auf der anderen Seite wendete und verschwand. Das war das Letzte, was er von Juliette zu sehen bekam.

    Lise musste seufzen bei dem Gedanken. Die restliche Geschichte über die Jugendliebe des Professors war genauso traurig.
    Nachdem Doktor Proktor drei Tage lang in Italien auf Juliette gewartet hatte, rief er sie von einem öffentlichen Telefon aus an. Der Baron höchstselbst nahm den Anruf entgegen. Er erklärte, Juliette habe Vernunft angenommen und erkannt, dass eine Hochzeit mit Prok tor nicht infrage komme. Es tue ihr leid, aber die ganze Sache sei derart peinlich, dass sie mit Proktor nicht mehr reden und ihn schon gar nicht mehr sehen wolle. Und so sei es auch am besten.
    Verzweifelt und erschöpft war Doktor Proktor nach Paris zurückgefahren, doch als er endlich seine Pension betrat, wartete dort schon ein Polizist auf ihn. Er reichte Proktor einen Brief und forderte ihn barsch auf, ihn zu lesen. Darin stand, dass Proktor von der Universität verwiesen sei, weil man ihn als Terrorist verdächtige und beschuldige, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Der Hintergrund war ein missglücktes Experiment im Chemielabor der Universität, bei dem Doktor Proktor und ein anderer norwegischer Student um ein Haar die Universität in die Luft gesprengt hätten.
    Es half nichts, dass Proktor dem Polizisten zu erklären versuchte, es habe sich um einen letztlich ungefährlichen Vorfall gehandelt, »eine winzigwinzigwinzig kleine Riesenexplosion«, während der Entwicklung eines Reisepulvers für eine Zeitmaschine, an der sie forschten. Der Polizist befahl Proktor, sofort auf sein Zimmer zu gehen und zu packen. Proktor hätte wetten können, dass Baron Margarine hinter der Ausweisung steckte, aber was sollte er machen.
    So kehrte also eines Abends vor vielen Jahren ein von Liebeskummer gebeugter junger Mann nach Oslo zurück und bezog irgendwann das schiefe, versteckte Haus ganz am Ende der Kanonenstraße. Es war billig, es hatte kein Telefon und wurde nie besucht – perfekt für jemanden, der mit keinem Menschen mehr reden und ansonsten in Ruhe seine Erfindungen machen wollte. Lise sah aus ihrem roten Haus zum blauen Haus des Professors hinüber. Und sie überlegte, ob vielleicht alles, was jetzt passierte, ihre Schuld war. Hatte sie nicht darauf bestanden, dass Professor Proktor nach Paris fuhr, um Juliette Margarine wiederzufinden? Genauso war es. Sie hatte ihn mitten in den Schlamassel hineingeschickt, wie auch immer dieser jetzt aussehen mochte.
    Bulles Fingerschatten auf der anderen Straßenseite hörten zu tanzen auf und verbeugten sich. Jetzt kam noch das übliche Gute-Nacht-Signal
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