Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
verunsichert. »Was denn?«
    »Nichts«, sagte Bulle. »Kein Erwachsener glaubt, dass es Doktor Proktors Erfindungen wirklich gibt. ›Zeitseife?‹, werden sie rufen. ›Was für ein Unsinn!‹ Darum hat der Professor uns die Karte geschickt. Er wusste, dass niemand sonst ihm glauben würde, ist doch klar.«
    »Vielleicht«, meinte Lise vorsichtig, »aber... aber bist du dir auch ganz sicher, dass wir ihm glauben? Er ist ja nett, aber eigentlich auch ein bisschen...äh, verrückt.«
    »Klar bin ich sicher, dass wir ihm glauben«, sagte Bulle. »Und Proktor ist nicht ein bisschen verrückt. Er ist restlos durchgeknallt.«
    »Eben«, sagte Lise. »Wie kannst du dann so sicher sein?«
    »Klare Sache, liebe Lise. Doktor Proktor ist unser Freund. Und Freunde glauben einander.«
    Lise sah lange den Mond an. Und nickte.
    »Das«, sagte sie, »ist das Wahrste, das du seit Langem gesagt hast. Also, was machen wir?«
    »Morgen ist Freitag. Also pass auf, du gehst nach Hause und sagst, deine Freundin aus Sarpsborg hat dich übers Wochenende eingeladen, du nimmst nach der Schule den Zug und wirst dort von denen abgeholt.«
    »Das könnte klappen«, sagte Lise. »Und du?«
    »Ich sage zu meiner Mutter, dass ich mit der Blaskapelle auf Konzertreise nach Arvika fahre.«
    »Eine Konzertreise? So ganz auf einmal?«
    Bulle zuckte mit den Schultern. »Meiner Mutter ist alles egal, die peilt sowieso nichts. Wahrscheinlich ist sie froh, mich für ein paar Tage los zu sein. Morgen packst du ein paar Extras in deine Schultasche, nicht viel, nur ein paar Kleinigkeiten, die mit P anfangen. Pass, Portemonnaie, Pastillen und so. Dann gehen wir zur Schule, als ob alles ganz so wäre wie sonst, ja? Aber nach der Schule fahren wir ins Zentrum zu diesem Uhrenladen...«
    »Langfrakks Uhrenladen«, sagte Lise.
    »Genau. Wir verkaufen die Briefmarke, nehmen den Bus zum Flughafen, kaufen Tickets für den nächsten Flug nach Paris, gehen an Bord und eins, zwei, fix, sind wir dort.«
    Lise kaute auf der Unterlippe und auf dem herum, was Bulle gesagt hatte. Eins, zwei, fix, na ja, dachte sie. Bulle hatte so ein Talent, ziemlich komplizierte Sachen als ganz einfach darzustellen.
    »Na?«, fragte Bulle. »Wie sieht’s aus?«
    Lise sah auf das Weckglas. Das erdbeerrote Pulver glitzerte so schön geheimnisvoll im Mondlicht. In der Zeit verschwunden? Zeitseife? Zeitbadewanne? Das war doch einfach zu verrückt.
    »Wahrscheinlich ist es doch am besten, wir zeigen Papa die Karte«, sagte sie zögernd.
    »Am besten?«, fragte Bulle. »Wenn es das wäre, hätte Proktor es in seiner Karte selbst vorgeschlagen.«
    »Ich weiß ja, aber sei mal ein bisschen realistischer, Bulle. Sieh uns an. Was sind wir? Zwei Kinder!«
    Bulle seufzte schwer. Dann legte er Lise die Hand auf die Schulter und blickte sie eine Weile ernst an, bevor er tief Luft holte und mit salbungsvoller Stimme verkündete: »Hör her, Lise. Wir sind ein Team. Und wir pfeifen darauf, dass alle anderen uns für ein jämmerliches Team halten. Denn wir wissen etwas, das sie nicht wissen.«
    Bulles Stimme war jetzt derart feierlich, dass sie ins Zittern geriet: »Wir wissen, liebe Lise...wir wissen... äh, wie ging das noch mal?«
    »Wir wissen«, übernahm Lise, »wenn Freunde einander versprechen, immer zusammenzuhalten, dann sind eins plus eins plus eins sehr viel mehr als drei.«
    »Genau!«, rief Bulle. »Na? Was sagst du? Ja oder Nein?«
    Lise sah Bulle lange an. Dann sagte sie ein Wort.
    »Paraplüh.«
    »Para-wie?«
    »Ich nehme einen Regenschirm mit. Auf Französisch ›Paraplüh‹ oder so ähnlich. Du hast gesagt, wir nehmen nach Paris Sachen mit, die mit P anfangen, und offenbar regnet es in Paris in dieser Jahreszeit so viel.«
    Bulle zwinkerte zwei Mal. Dann begriff er endlich.
    »Jippie!«, jubelte er und hüpfte auf und ab. »Wir reisen nach Paris! Cancan-Tänzerinnen! Champagner! Champs-Élysées!«
    Und er zählte pariserische Dinge auf, die mit C anfangen, bis Lise sagte, es reiche und sie müssten ins Bett.
    Als Lise ihren Eltern Gute Nacht gesagt und ihr Vater die Tür ihres Zimmer zugemacht hatte, saß sie wie immer im Bett und schaute durchs Fenster zu dem gelben Haus auf der anderen Straßenseite hinüber, zu einem Fenster mit grauem Rollo im ersten Stock. Sie wusste, dass da drin gleich eine kleine Leselampe angehen würde, aufs Rollo gerichtet, und dann würde Bulles allabendliche Schattenspielvorstellung beginnen, mit Lise als einzigem Publikum. Die winzigen Finger wurden auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher