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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne
Autoren: Jo Nesbø
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gehört!«
    »Zu Befehl, Mutter aller Dirigenten und König aller Janitscharenkapellen nördlich der Sahara und östlich der...«
    »Lass den Quatsch und spiel!«
    Und Bulle spielte. Ein weicher, warmer Ton stieg zur Decke der Turnhalle empor und schwebte aus dem Fenster in den warmen Herbstnachmittag nach draußen, wo die Vögel verstummten, beschämt über ihren eigenen Gesang, als sie diesen Wohlklang hörten. So dachte jedenfalls Lise, während sie ihren Lieblingsnachbarn und besten Freund auf der Trompete seines Großvaters spielen hörte. Lise mochte ihre Klarinette, aber diese Trompete hatte irgendwie etwas Besonderes. Und besonders schwierig zu spielen war sie auch nicht. Bulle hatte ihr beigebracht, ein Stück auf der Trompete zu spielen, nämlich »Ja, wir lieben dieses Land«, die norwegische Nationalhymne. Natürlich spielte sie nicht so gut wie Bulle, aber sie träumte heimlich davon, »Ja, wir lieben dieses Land« eines Tages vor großem Publikum auf der Trompete zu spielen. Welche eine Vorstellung! Doch Vorstellungen sind Vorstellungen und Träume sind nur Träume.
    »Gut, Bulle!«, rief Madsen. »Und jetzt noch mal alle mit Bulle zusammen! Eins-zwei-drei-vier!«
    Und die Blaskapelle legte los. Rumpelnd, pumpelnd, polternd: Trommeln, Saxofone, Waldhorn, Glockenspiel und Zymbeln; es klang, als ob jemand eine ganze Küche auf den Kopf stellen würde und alles würde aus Schränken und Schubladen zu Boden scheppern. Dann gesellten sich auch noch die Pauke und die Tuba dazu. Die Turn- halle erbebte. Die Sprossenwände klapperten mit den Zähnen, die Kletterseile hingen schräg wie bei Sturm und das riesige Turnpferd hoppelte Zentimeter um Zentimeter auf den Ausgang zu, als wollte es die Flucht ergreifen.
    Als sie die Marseillaise endlich durchhatten, war es wieder ganz still. Sowohl in der Turnhalle als auch draußen. Kein Vogelgesang, kein Kinderlachen. Nur der Widerhall des letzten verzweifelten Schlages der Zwillinge Truls und Trym auf die Trommelfelle von Trommeln und Ohren.
    »Danke«, stöhnte Madsen. »Ich glaube, das reicht für heute. Die nächste Probe ist am Montag.«
    »Doch, mit der Karte stimmt was nicht«, sagte Lise, als sie und Bulle nach Hause in die Kanonenstraße gingen. Es wurde abends schon herbstlich früh dunkel, das gefiel ihnen. Besonders Bulle, der helle Sommernächte eine etwas weniger als mittelgute Erfindung fand. In seinen Augen waren dunkle, warme Herbstabende mit viel Versteckspiel und Äpfeln aus Nachbars Garten eine geniale Erfindung, ja, geradezu in Doktor-Proktor-Qualität. Und für Bulle war der Professor der beste Erfinder der Welt. Zwar meinte der Rest der Welt, Doktor Proktor habe noch nie etwas Brauchbares erfunden, aber was wussten schon die anderen? Wer zum Beispiel hatte das wirksamste Pup spulver der Welt erfunden? Noch wichtiger war natürlich, dass Doktor Proktor den besten Karamellpudding der Welt zubereitete, dass er der beste Freund und Nachbar der Welt war und Bulle und Lise beigebracht hatte, sich nicht weiter darum zu kümmern, dass alle anderen in ihnen dreien nichts sahen als ein jämmerliches Trio, bestehend aus einem Winzling mit roten Koteletten, einem etwas furchtsamen Mädchen mit Zöpfchen und einem überdurchschnittlich verrückten Professor mit verrußter Motorradfahrerbrille.
    »Wir wissen nämlich etwas, das die nicht wissen«, sagte Proktor immer. »Wenn Freunde einander versprechen, immer zusammenzuhalten, dann sind eins plus eins plus eins sehr viel mehr als drei.«
    Und recht hatte er! Allerdings war der Professor für einen Freund ziemlich schreibfaul. Eine magere Postkarte, mehr hatten sie in den drei Monaten nicht bekommen, seit der Professor sich auf sein Motorrad gesetzt, den Lederhelm festgeschnallt und sich verabschiedet hatte, um nach Paris zu düsen, wild entschlossen, die große Liebe seines Lebens wiederzufinden: Juliette Margarine. Vor vielen, vielen Jahren, als er noch in Frankreich studierte, war sie unter mysteriösen Umständen verschwunden. Lise und Bulle hatten das Foto von Juliette gesehen, das im Labor des Professors hing, ein Foto aus der Zeit, als die beiden noch jung waren. Aber sie wirkten auf dem Foto so glücklich, dass Lise feuchte Augen bekommen hatte. Ja, eigentlich war es sogar Lise, die den Professor überredet hatte, zurückzufahren und sie zu suchen.
    »Nein wirklich, mit der stimmt was nicht«, wiederholte Lise und hielt ihm die Karte hin. »Sieh selbst.«
    Bulle betrachtete die Postkarte des
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