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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne
Autoren: Jo Nesbø
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Wiederkäuer!«
    Bulle schlug die Augen auf. Über ihm stand Jeanne, den Säbel zum Hieb erhoben, und funkelte die Nilpferde gefährlich an.
    »Du bist zurückgekommen«, sagte Bulle.
    »Ich konnte dich nicht im Stich lassen, Bulle«, sagte sie ruhig. »Immerhin bin ich Jeanne d’Arc, die größte Kriegerin aller Zeiten.«
    »Jeanne d’Arc, dass ich nicht lache!« Claude Cliché wieherte los auf seinem Stuhl hinter der Nilpferden. »Jedes Kind weiß, dass sie die 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben. Du siehst nicht mal aus wie sie! Die echte Jeanne d’Arc trug Lippenstift und ein Holzbein und sie hatte eine Dauerwelle!«
    »Dauerwelle!«, kreischte Jeanne rasend.
    »Man muss sich nur die Bilder von der Verbrennung anschauen«, sagte Claude Cliché. »Packt die Lügnerin, Männer.«
    Die Nilpferde gingen auf sie los.
    Am liebsten hätte Bulle die Augen wieder geschlossen, aber er ließ sie offen. Das sollte er nicht bereuen. Denn nun bot sich ihm das herrlichste Schauspiel, das er je gesehen hatte.
    Jeanne schwang den Säbel mit beiden Händen und ließ die Klinge so schnell kreisen, dass nur noch ein ver schwommener Kreis aus herumsausendem blankem Stahl zu sehen war. Und zu hören war ein Konzert von vielfachem leisem »Ritsch-Ratsch«, jedes Mal, wenn eine Gürtelschnalle, ein Jackenknopf, ein Hemdsärmel oder Haarsträhnen abgeschnitten wurden. Kinnbärte, Haartollen, Seitenscheitel, alles musste dran glauben.

    Als Jeanne mit ihnen fertig war, standen die beiden Nilpferde wie gelähmt vor ihr, die Hosen auf den Knöcheln, die Arme nackt aus den zerschnittenen Hemden schauend und auf dem Kopf die hässlichste Pottfrisur, die Bulle seit dem Mittelalter gesehen hatte.
    »Da habt ihr eure Dauerwelle!«, schrie Jeanne. »Komm, Bulle!«
    Sie half Bulle hoch und zog ihn mit sich zur Tür hinaus.
    Noch auf der Treppe konnten sie Claude Clichés Gebrüll hören. »Gib mir die Flinte! Egal, dann zieh dir die Hose aus und her damit!«
    Jeanne und Bulle rannten sämtliche Etagen hinunter, an den Fotos der Familie Trottoir vorbei, an den Lehnstühlen in der Rezeption, und Monsieur Trottoir konnte hinterm Tresen nur noch »Abreisen?« fragen, da waren sie schon durch die Drehtür auf dem Platz vor der Pension.
    »Hierher!«
    Doktor Proktor, Lise und Juliette warteten auf der anderen Seite des Platzes bei ein paar leeren Marktständen.
    »Aufgepasst!«, rief Lise.
    Und in demselben Augenblick hörten sie ein Stück hinter sich eine atemlose Stimme: »Stillgestanden, sonst puste ich euch weg!«
    Jeanne und Bulle blieben stehen. Und drehten sich um.
    Wenige Meter hinter ihnen stand Claude Cliché, ein Gewehr an der Wange, an dessen Lauf eine Nilpferdhose baumelte, und zielte auf sie.
    Cliché stand leicht vornübergebeugt, wie bei heftigem Gegenwind, es lag aber nicht am Gegenwind. Seine Hosenträger – die sich von seinem Hosenbund über den Bauch und die Schultern erstreckten, dann nach hinten weg und durch die Drehtür der Pension Pommes Frites – waren gespannt wie Gitarrensaiten. Man kann schon sagen, die Hosenträgerklammern, mit denen Claude Cliché sein Vermögen verdient hatte, waren außergewöhnlich reißfest!
    »Komm ein bisschen näher, du Gnom, damit ich sicher sein kann, dass ich dich treffe!«, rief Claude Cliché Bulle zu und zog schon mal den Abzug halb durch.
    »An sich wäre ich Ihnen ja gern behilflich, Missjöh Cliché«, sagte Bulle. »Aber wenn ich recht bedenke, dass Sie schießen wollen und ich sterben soll, hielte ich es für passender, wenn Sie ein paar Schritte näher kämen.«
    »Ungezogener Lümmel!«, brummte Cliché und kämpfte sich noch einen Schritt vor. Seine Hosenträger vibrierten und protestierten schrill, aber Cliché war derart wütend, dass er nicht zu bemerken schien, was ihn da zurückhielt.
    »Ich bin ein äußerst kleines Ziel, also vielleicht noch einen allerletzten Schritt, Herr Barometer?«, lächelte Bulle zuvorkommend.
    »Gleich siehst du die Radieschen von unten!« Cliché hob einen Fuß, um vorzutreten.

    Aber das war’s.
    Das war der entscheidende Schritt zu viel. Cliché zog ein verdattertes Gesicht, als er das Gleichgewicht verlor, weil sein Körper nach hinten weggezogen wurde, und das mit einer solchen Kraft, dass er immer schneller wurde. Rücklings zischte Claude Cliché durch die Drehtür, so rasend schnell, dass er schier abhob. Er flog an der Rezeption vorbei – Monsieur Trottoir hinterm Tresen konnte nur gerade fragen »Anreise?« –, dann an den
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