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Doktor Proktor im Goldrausch

Doktor Proktor im Goldrausch

Titel: Doktor Proktor im Goldrausch
Autoren: Jo Nesbø
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Sender zu sein, der alles glaubt, was er sagt. Kommen Sie, gehen wir rein und begrüßen seine Mutter und Schwester…«
    Die nächste Szene zeigte zwei Personen auf einem Sofa in einem chaotischen Wohnzimmer. Die eine war das Mädchen, das Helge und Hallgeir bei Bulle zu Hause angetroffen hatten, die andere war eine Frau mit rosa Steppmorgenmantel.
    »Es fing mit kleinen Übertreibungen an«, sagte die Frau mit einem finsteren Blick in die Kamera. »Dann wurde es immer schlimmer. Und irgendwann hat er doch tatsächlich behauptet, er hätte zusammen mit seinen Freunden die Welt gerettet und wäre mit einer Badewanne durch die Zeit gereist.«
    »Was glauben Sie, von wem er diesen Drang zum Lügen geerbt hat?«
    »Von mir jedenfalls nicht. Das muss aus der Familie seines Vaters kommen. Sein Großvater väterlicherseits hat ein Buch namens Tiere, denen du nie begegnen möchtest geschrieben. Das ist von vorne bis hinten erstunken und erlogen.«
    »Erstunken und erlogen«, stimmte das Mädchen ein und schnitt der Kamera eine Fratze.
    In der nächsten Szene sah man Bulle in einer Talkshow. Er hatte beide Arme über den Kopf gestreckt, um den wilden Beifall des Publikums entgegenzunehmen.
    »Er hat nich’ ma’ gemerkt, dass die über ihn gelacht ham«, sagte Petter mit einem Seufzer.
    »Willkommen bei Norwegische Lü… hust! …bolde«, sagte der Reporter, der nun einen eleganten Anzug trug. »Ist es tatsächlich wahr, dass du in die Vergangenheit zur Schlacht von Waterloo gereist bist?«
    »Ja, das stimmt.«
    Das Publikum applaudierte lachend, woraufhin Bulle sich umdrehte und sich höflich verneigte.
    »Dann hast du wahrscheinlich auch Napoleon getroffen, oder?«
    »Selbstverständlich!« Bulle lächelte hoheitsvoll und legte die Fingerspitzen aneinander. »Eine kurze Weile war ich sogar Napoleon. Nur auf diese Weise konnte ich die Schlacht verhindern.«
    »Du warst also Napoleon und hast die Schlacht von Waterloo verhindert?«
    »Irgendjemand musste das ja tun und ich war zufällig vor Ort«, sagte Bulle so bescheiden, wie er konnte, und betrachtete seine abgekauten Fingernägel.
    Wilder Jubel aus dem Publikum. Nahaufnahmen zeigten, dass sie eigentlich fast vor Lachen von den Stühlen purzelten.
    »Dann danken wir Bulle alias Napoleon für dieses Gespräch!«
    Dröhnender Applaus, als eine hübsche Assistentin Bulle abholte, der noch einmal lächelnd in die Kamera winkte.
    Sobald Bulle aus dem Bild verschwunden und außer Hörweite war, drehte der Moderator sich zur Kamera und flüsterte: »Ich würde sagen, ein starker Kandidat für den Titel ›Norwegens größter Lügenbold‹. Aber das entscheiden natürlich die Zuschauer, wenn wir jetzt darüber abstimmen, wer…«
    Petter schaltete den Computer aus.
    »Kein Wunder, dass er am Boden zerstört ist und nicht wieder zurückwill«, sagte Helge.
    »Wie können wir ihn nur überreden?«, fragte Hallgeir.
    »Wir müssen ihm vom Kampf für Heimat und Familie, für König und Vaterland erzählen.«
    »Ja, und für die norwegische Währung, die Krone.«
    »Genau, Hallgeir! Und während wir das machen, spielt im Hintergrund herzergreifende Musik, die immer lauter wird, wie unsere tränenerstickten Stimmen…«
    »Gute Idee, Helge. Gehen wir also in den Wald, suchen den Knirps und…«
    In dieser Sekunde wurde die Tür mit einem lauten und schrillen Schrei der Türangeln aufgerissen.
    Eine Sekunde später fiel sie mit einem lauten Scheppern wieder ins Schloss, weil jemand sie zuknallte.
    Vor ihnen stand Bulle mit einem Rucksack auf den Schultern.
    »Wir dachten, du wärst in den Wald gegangen«, sagte Hallgeir.
    »Ich hab’s mir anders überlegt«, sagte Bulle.
    »Leg herzzerreißende Musik auf«, flüsterte Helge Petter zu. »Dann erzähle ich was über Heimat und Vaterland und…«
    »Wenn ihr euren Kakao ausgetrunken habt, wäre ich auch so weit, nach Oslo aufzubrechen«, verkündete Bulle.
    »Was? Aber ich bin doch noch gar nicht bei der tränenerstickten Stimme .«
    »Nicht nötig. Ich hab es mir wie gesagt anders überlegt.«
    »Und?«
    Bulle zuckte mit den Schultern und pulte mit einem dreckigen Fingernagel zwischen seinen Schneidezähnen herum. »Und, und, und. Hängegleiter und Halma sind in Ordnung, aber Goldraub hört sich doch einen Tick spannender an. Und Kakao hat man auch irgendwann genug getrunken, oder?«
    So kam es, dass Punkt dreiunddreißig Minuten und vierundzwanzig Sekunden nach halb sieben Zulu-Zeit wieder
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