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Doktor Proktor im Goldrausch

Doktor Proktor im Goldrausch

Titel: Doktor Proktor im Goldrausch
Autoren: Jo Nesbø
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Sekunden lang ist es still.
    Dann kommt Charlie wieder zum Vorschein. Er rackert sich mit einem Backstein ab, nur dass dieser für einen Backstein viel zu golden und viel zu schwer ist. Auf der Seite ist die Prägung NORWEGISCHE NATIONALBANK zu lesen.
    Und darunter – mit etwas kleineren Buchstaben: GOLDBARREN NUMMER 101.
    »Help me, Betty«, sagt Charlie, worauf das tätowierte B herbeieilt und ihm den Goldbarren abnimmt.
    »And the rest?«, fragt der Größte und bläst den Staub von seiner Melone. Auf seiner Stirn steht ein A, doch das ist im Moment kaum zu erkennen, weil eine tiefe Falte den Buchstaben verzerrt.
    »That’s all there is, Alfie.«
    »What?«
    Wie diejenigen von euch, die sich mit Sprachen ein bisschen auskennen, längst bemerkt haben werden, sprechen die drei englisch. Aber tun wir doch jetzt mal so, als hätten wir eine von Doktor Proktors multilinguistischen Sprachpillen genommen, dann würde sich der Rest des Gesprächs so anhören:
    »Es gibt nur den einen hier, Alfie, der Rest des Tresorraums ist leer.«
    »Das soll der gesamte Goldvorrat dieser verfluchten Bank sein?« Der mittlere der drei, Betty, schimpft und lässt den Goldbarren klirrend in den Kofferraum der Maschine fallen.
    »Beruhig dich, Betty«, sagt Alfie. »Der sieht doch gut aus. Auf jeden Fall ist das reines Gold. Sehen wir zu, dass wir nach Hause kommen, Jungs.«
    »Psst!«, platzt Charlie heraus. »Habt ihr das auch gehört?«
    »Was?«
    »Dieses Zischeln.«
    Alfie stöhnt. »In der Kanalisation gibt es kein Zischeln, Charlie. Vielleicht Rattengefiepe oder Froschquaken, aber für Zischeln musst du in den Dschungel.«
    »Da!«
    »Was denn?«
    »Habt ihr das nicht gesehen? Die gelben Augen? Sie haben geblinzelt und dann waren sie weg.«
    »Rote Rattenschwänze und grüne Froschschenkel vielleicht«, sagt Alfie. »Aber für gelbe Augen musst du in den Dsch…«
    Er wird von einem ohrenbetäubenden Krachen unterbrochen.
    »Hm«, sagt Alfie und streicht sich über das Kinn. »Vielleicht sind wir im Dschungel, Jungs, das hat sich verdächtig wie der Kiefer einer Riesenschlange angehört, wenn ihr mich fragt. Ich denke, da solltet ihr euch drum kümmern. Und zwar jetzt.«
    »Wie du willst, Alfie«, sagt Charlie. »Waren das wirklich die Kiefer einer Riesenschlange?«
    »Oh ja. Fast hätt ich’s vergessen, Mama hat gesagt, wir sollen ihr aus Oslo was Schönes mitbringen. Wie wär’s mit einer Boa?«
    »Yippie!«, sagt Betty und zieht ein Ungeheuer aus Stahl aus dem Kofferraum der Maschine. Qualitätsarbeit aus Deutschland. Er lädt das Gerät und feuert wild drauflos. Das Maschinengewehr bringt Licht in das Dunkel der Kanalisation und die Kugeln knallen und pfeifen durch die Rohre.
    Die zwei anderen richten ihre Lampen auf die Stelle, an der Charlie die gelben Augen gesehen hat. Aber dort ist nichts zu sehen außer einer zitternden Ratte, die sich auf den Hinterpfoten stehend mit dem Rücken an die Wand presst.
    »Mist«, schimpft Betty.
    »Wir haben, was wir wollten«, sagt Alfie und setzt die Melone wieder auf. »Packt zusammen, dann hauen wir ab.«
    Und während wir dem Wassertropfen bis zur Kläranlage am Oslofjord weiter folgen, hören wir, wie die drei ihre Ausrüstung in der Maschine verstauen und den Motor anlassen.
    Aber das Letzte, was wir hören, ist…?
    Richtig.
    Zsch-zsch-zschlangen-zischeln.

Kapitel 2
    Der Secret Garden
übernimmt den Fall
    E xakt um acht Uhr morgens machte der Chef der Norwegischen Nationalbank das, was er immer tat, wenn er zur Arbeit kam. Er ging in das tiefste Kellergewölbe Norwegens, vorbei an der Münzprägerei, in der die Kronenmünzen mit dem Bild des Königs geprägt wurden, weiter hinunter an der Druckerei vorbei, in der sie die Geldscheine mit den Porträts der längst verstorbenen norwegischen Berühmtheiten druckten – die meisten mit Bart vorbei am Raucherraum, in dem die Rauchkringel gemacht wurden, und noch weiter hinunter bis zu den Gemächern, in denen die Kunden ihre Bankschließfächer hatten. Dort öffneten er und sein Vizebankchef nacheinander alle drei Stahltüren, bis sie endlich vor dem Gewölbe standen, in dem der Goldvorrat des Landes aufbewahrt wurde.
    »Aufschließen!«, kommandierte der Bankchef wie üblich.
    »Aber du hast doch den Schlüssel, Tor«, sagte der Vizebankchef wie jeden Tag und gähnte.
    »Ach ja, stimmt«, antwortete der Bankchef auch wie immer und schloss auf. Dann betraten sie das Gewölbe.
    Exakt um vier Minuten und dreizehn Sekunden nach acht
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