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Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Titel: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
Autoren: Erich Kästner
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Beherzte)  
    Niemand weiß, wie arm du bist …
    Deine Nachbarn haben selbst zu klagen.
    Und sie haben keine Zeit zu fragen,
    wie denn dir zumute ist.
    Außerdem, - würdst du es ihnen sagen?
    Lächelnd legst du Leid und Last,
    um sie nicht zu sehen, auf den Rücken.
    Doch sie drücken, und du mußt dich bücken, bis du ausgelächelt hast.
    Und das Beste wären ein Paar Krücken.
    Manchmal schaut dich einer an,
    bis du glaubst, daß er dich trösten werde.
    Doch dann senkt er seinen Kopf zur Erde, weil er dich nicht trösten kann.
    Und läuft weiter mit der großen Herde.
    Sei trotzdem kein Pessimist,
    sondern lächle, wenn man mit dir spricht.
    Keiner blickt dir hinter das Gesicht.
    Keiner weiß, wie arm du bist …
    (Und zum Glück weißt du es selber nicht.) 

Keiner blickt dir hinter das Gesicht (Fassung für Kleinmütige)  
    Niemand weiß, wie reich du bist …
    Freilich mein ich keine Wertpapiere,
    keine Villen, Autos und Klaviere,
    und was sonst sehr teuer ist,
    wenn ich hier vom Reichtum referiere.
    Nicht den Reichtum, den man sieht
    und versteuert, will ich jetzt empfehlen.
    Es gibt Werte, die kann keiner zählen, selbst, wenn er die Wurzel zieht.
    Und kein Dieb kann diesen Reichtum stehlen.
    Die Geduld ist so ein Schatz,
    oder der Humor, und auch die Güte,
    und das ganze übrige Gemüte.
    Denn im Herzen ist viel Platz.
    Und es ist wie eine Wundertüte.
    Arm ist nur, wer ganz vergißt,
    welchen Reichtum das Gefühl verspricht.
    Keiner blickt dir hinter das Gesicht.
    Keiner weiß, wie reich du bist …
    (Und du weißt es manchmal selber nicht.) 

Der Streber
    Vom frühen bis ins späte Alter,
    mit Mordsgeduld und Schenkelschluß,
    rankt er sich hoch am Federhalter
    und klettert, weil er sonst nichts muß.
    Die Ahnen kletterten im Urwald.
    Er ist der Affe im Kulturwald.

Alte Frau auf dem Friedhof
    Sie scheint auf den Tod zu warten.
    Täglich kommt sie hierher
    und sitzt bis zum Abend im Garten,
    als ob sie zu Hause wär.
    Sie kennt alle Leichensteine.
    Sie kennt jeden Gitterstab.
    Und sie hockt bis zum Abend alleine
    an ihrem eigenen Grab.
    Dunkle Choräle verwehen.
    Weinende Menschen stehn
    vor frischen Gräbern und gehen
    ergriffen durch graue Alleen.
    Die Alte sitzt unbeweglich.
    Sie ist nicht schlimm und nicht fromm.
    Sie hockt und schweigt, und täglich
    betet sie: »Tod, nun komm!«

Repetition des Gefühls
    Eines Tages war sie wieder da …
    Und sie fände ihn bedeutend blässer.
    Als er dann zu ihr hinübersah,
    meinte sie, ihr gehe es nicht besser.
    Morgen abend wolle sie schon weiter.
    Nach dem Allgäu oder nach Tirol.
    Anfangs war sie unaufhörlich heiter.
    Später sagte sie, ihr sei nicht wohl.
    Und er strich ihr müde durch die Haare.
    Endlich fragte er dezent: »Du weinst?«
    und sie dachten an vergangne Jahre.
    Und so wurde es zum Schluß wie einst.
    Als sie an dem nächsten Tag erwachten, waren sie einander fremd wie nie.
    Und so oft sie sprachen oder lachten,
    logen sie.
    Gegen Abend mußte sie dann reisen.
    Und sie winkten. Doch sie winkten nur.
    Denn die Herzen lagen auf den Gleisen, über die der Zug ins Allgäu fuhr.

Bilanz per Zufall
    Er hatte Geld. Und trank und aß
    in dem Hotel, in dem er saß,
    vom Teuersten und Besten.
    Er war vergnügt und trank und aß
    und winkte mit erhobnem Glas
    den Kellnern und den Gästen.
    Der Blumenfrau, die bei ihm stand,
    nahm er die Blumen aus der Hand
    und zahlte mit zwei Scheinen.
    Die Rosen waren rot und kühl.
    Er gab ihr dreißig Mark zuviel.
    Da fing sie an zu weinen.
    Die Hauskapelle, sechs Mann stark,
    erhielt von ihm zweihundert Mark.
    Sie konnte kaum noch spielen.
    Er gab den Boys und Pikkolos,
    den Fräuleins und den Gigolos.
    Er gab, ohne zu zielen.
    Die Rechnung sah er gar nicht an.
    Er warf paar Scheine hin, und dann
    verließ er jene Halle.
    Bewundernd gingen, Schritt um Schritt, die Tänzer, Boys und Kellner mit.
    So liebten sie ihn alle!
    Er freute sich und sprach: »Schon gut«, und nahm den Mantel und den Hut.
    Da rief die Garderobiere: »Ich kriege dreißig Pfennig für die Kleideraufbewahrung hier!
    Nicht zahlen, wie? Das wäre!«
    Da blieb er stehn. Da lachte er
    und suchte Geld und fand keins mehr.
    Und konnte ihr nichts geben.
    Die Blumenfrau, die Gigolos,
    die Kellner, Boys und Pikkolos,
    sie standen fremd daneben.

    Er blickte sich, fast bittend, um.
    Die andern standen steif und stumm,
    als sei er nicht mehr da.
    Da zog er schnell den Mantel aus,
    gab ihn der Frau, trat aus dem Haus
    und dachte nur: »Na ja.«

Das ist
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