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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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Ordnung. Würden tatsächlich alle Absolventen einer Förderschule ein Ausbildungsverhältnis aufnehmen können? Mir scheint das zumindest zweifelhaft. Verstärkt haben wir es mit Schülern zu tun, deren Probleme nicht nur das Lernen selbst betreffen, sondern die zunehmend auch in anderen Bereichen gravierende Auffälligkeiten zeigen. Und dies betrifft nicht nur die Förderschulen. Der Fall der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln hat das im Februar 2006 drastisch vor Augen geführt, als ein Brandbrief der damals kommissarischen Leiterin Petra Eggebrecht die totale Arbeitsverweigerung, Aggressivität, Zerstörungswut und Respektlosigkeit ihrer Hauptschüler gegenüber dem Lehrpersonal beklagte. Auch an unserer Schule ist die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder enorm angestiegen, wenngleich die Situation bei weitem nicht mit der in der Rütli-Schule vergleichbar ist. Auch handelt es sich bei unserenverhaltensauffälligen Kindern nicht ausschließlich um Kinder aus Migrantenfamilien. Wir arbeiten zunehmend mit Schülern, die emotional und intellektuell vernachlässigt sind, die zu Hause keine regelmäßige und gesunde Ernährung erhalten und deren medizinische Versorgung gravierende Mängel aufweist. Viele Familien sind zunehmend erziehungsunfähig. «Die Kluft wächst», berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 19. August 2008, als sie die Daten des Armutsberichts 2007 vorstellte. Hiernach wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Zunehmend deutlich wird dieses Auseinanderdriften der Lebensqualität in den jeweiligen Stadtteilen. «Die Kluft zwischen den sozialen Brennpunkten und den gut situierten Vierteln wächst, die sozialräumliche Spaltung nimmt zu.» Die bereits erwähnte Untersuchung zu der Einflussnahme des Wohnumfeldes auf den Sonderschulbesuch wird hier bestätigt. So liegt die Zahl der Förderschüler in den problematischen Stadtteilen weit über dem Durchschnitt, während Empfehlungen für den Besuch des Gymnasiums eine Ausnahme bleiben. In diesem Zusammenhang stellt die Professorin und Expertin für soziale Arbeit und Sozialpolitik Ute Klammer fest, dass von Bildungsgerechtigkeit unter diesen Umständen keine Rede mehr sein kann. «Es gibt Stadtteile, in denen sind die Schulkinder die Einzigen, die regelmäßig morgens aufstehen.»

    Eigentlich überraschen diese Aussagen niemanden mehr. Spätestens nach den ersten PISA-Ergebnissen wissen wir, dass in keinem anderen Land die Schichtenzugehörigkeit den späteren Schulerfolg so stark beeinflusst wie in Deutschland. Das allein aber an den Schulen festzumachen, halte ich auch nicht für den richtigen Ansatz. Sicher lässt sich über den Anachronismus des dreigliedrigen Schulwesens streiten, selbstverständlich ist in kleineren Klassenverbänden eine bessere Förderungmöglich, und auch bei der Lehrerausbildung sind unbedingt Reformen erforderlich. Um aber zu einer wirklichen Chancengleichheit zu gelangen, sind meines Erachtens jedoch weitergehende gesellschaftliche Veränderungen notwendig.

    Nach dem neuesten Armutsbericht der Bundesregierung sind in Deutschland mit 2,5 Millionen Kindern ca. 20 Prozent von Armut betroffen, das sind doppelt so viele wie noch 2004. Zunehmend wachsen Kinder in so belastenden psychosozialen Verhältnissen auf, dass Schul- und Ausbildungsfragen in den Hintergrund gedrängt werden. Engagierten und gut ausgebildeten Lehrkräften sind hier oftmals sehr enge Grenzen gesetzt. Wie Studien belegen, wirkt sich auch eine nur zeitweise erfahrene Armut entscheidend auf die Bildungschancen von Kindern aus. In Armut lebende Kinder haben ein vierfach erhöhtes Risiko, Verhaltensstörungen zu entwickeln und somit im Schulalltag zu scheitern. Neben der materiellen Armut gefährden vielfältige andere Probleme die frühkindliche Sozialisation, wie sie in der steigenden Zahl von Alleinerziehenden oder der Zunahme von sogenannten Patchwork-Familien zum Ausdruck kommen. Auch hier sind Kinder oftmals zumindest kurzfristig belastenden Familiensituationen ausgesetzt. Die WHO spricht bereits heute von einer ständigen Zunahme der Zahl psychisch beeinträchtigter Kinder. Zur Zeit liegt der Anteil zwischen 15 und 20 Prozent. Es wird erwartet, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2020 auf etwa 50 Prozent steigen wird. Trotz sehr engagierter Reformbemühungen im Bildungswesen ist die Schule in ihrer jetzigen Form nicht mehr in der Lage, alle negativen Auswirkungen anderer sozialer Entwicklungen auszugleichen. Hier muss ein umfassenderes
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