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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten
Autoren: Sigrid Lenz
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dass er sich dagegen wehren konnte, übernahm sein Körper die Kontrolle, tasteten sich Hände fiebrig vorwärts, suchten seine Sinne nach dem lebensspendenden Wasser, nach der Nahrung, die sie verlangten.
     

Neuanfang
    Sarah fragte sich ernsthaft, was für ein Teufel sie bei der Entscheidung für ihre heutige Garderobe geritten hatte. Normalerweise war es ihr ein inneres Bedürfnis, sich in unauffällige, gedeckte Farben zu kleiden, in Farben, die ihrem Image und ihrer Stellung entsprachen.
    Mehr oder weniger unbewusst hatte sie seit dem Tod ihres Mannes ihre Vorliebe für natürliche Farben auf dunkle Töne beschränkt. Nach Ihrem Gefühl war es nicht möglich etwas Anderes zu tragen, wenn sie das Bürogebäude durchschritt, in dem sie gemeinsam gearbeitet hatten.
    Nur an diesem Tag war etwas anders. Beinahe fühlte sie sich fehl am Platz, als sie den Eingangsbereich passierte. Nicht, dass der Pförtner am Empfang etwas gesagt hätte, aber sie glaubte doch, seinen erstaunten Blick in ihrem Rücken zu spüren.
    Seltsamerweise war es ausgerechnet Christa, die sie auf dieses Kostüm aufmerksam gemacht hatte. Sie hatten über den Einzug in ihre neue Wohnung gesprochen, und irgendwie waren sie auf die Idee gekommen, sich noch auf einen Drink zu verabreden.
    Christa war entspannter als normalerweise, beinahe gut gelaunt, und Sarah hatte den Eindruck, dieses ungewohnte Verhalten könnte mit dem neuen Kollegen zusammenhängen, den sie gerade einarbeitete. Ein wenig beschwipst hatten sie beide auf ihr Taxi gewartet, als ihnen die Schaufensterauslage eines Modehauses auffiel.
    “Das ist wirklich ein himmlisches Kostüm!” hatte Christa geseufzt und sie auf ein schlicht geschnittenes, dunkelrotes Kleidungsstück hingewiesen.
     “Es ist so, so... direkt!”
    “Etwas auffällig vielleicht!” hatte sich Sarah gedacht. Aber sie bewunderte die Eleganz des Designs.
    “Ist nur absolut nicht mein Stil. Aber für dich, Sarah, wäre es genau richtig!”
    Lächelnd hatte sie den Kopf geschüttelt, aber sich im Lauf der Zeit doch überreden lassen, eine nähere Ansicht wenigstens in Erwägung zu ziehen.
    Seit gestern nun gehörte es tatsächlich ihr, und sie musste zugeben, dass Christa recht behalten hatte. Sie fühlte sich wie ein neuer Mensch, wie befreit von der Düsternis, an die sie sich, als ihren ständigen Begleiter gewöhnt hatte. Vielleicht bedeutete dies, dass sie doch imstande war, sich von der Vergangenheit zu lösen und wieder nach vorne zu blicken.
    Während sie auf den Fahrstuhl wartete, strich sie ihren Rock glatt und genoss das glatte, seidige Gefühl unter ihren Händen. Es war ihr klar, dass sie in diesem Umfeld aus dem Rahmen fallen musste, aber auf eine unerklärliche Art war ihr das heute gleichgültig.
     
    Sie betrat ihr Büro und bemerkte den Stapel an Akten und Notizen, der sich bereits in aller Herrgottsfrühe wieder angesammelt hatte. Beim Aufblicken fing sie ein Grinsen Christas durch die gläsernen Scheiben auf. Lächelnd nickte sie zurück. Dabei fiel ihr Blick auf Fred Millner, der direkt auf sie zu eilte. Für einen kurzen Moment dachte sie wirklich, es gehe um ihre Garderobe und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht steigen wollte.
    “Was für ein Unsinn!” sagte sie sich und schüttelte den Kopf. Als ob es hier keine wichtigeren Themen gäbe.
    “Es tut mir leid, Sarah!”, begann Fred, nachdem er den Raum betreten hatte und musterte sie etwas irritiert, nicht ohne sich in Sekundenschnelle wieder im Griff zu haben.
    “Ich weiß, dass du viel zu tun hast, aber es hat sich etwas ereignet, wobei wir deine Hilfe brauchen werden.”
    Sarah sah in fragend an.
    “Es geht um deinen Bruder, er scheint in Schwierigkeiten zu sein.”
    Erschrecken mischte sich mit Schuldgefühlen. Obwohl Tobias auch in dieser Stadt wohnte, hatte sie ihn bis jetzt so gut wie gar nicht zu Gesicht bekommen. Mit Sicherheit war er immer noch aufgebracht. Tobias gehörte nicht zu den Menschen, die so schnell vergaßen. Das ohnehin gestörte Verhältnis zu ihrem gemeinsamen Vater würde sich wohl nie wieder kitten lassen, und auch sie gehörte für ihn nach wie vor zu einem System, das er von ganzem Herzen ablehnte. Wie könnte er auch ahnen, dass sie langsam anfing die Beweggründe seines Denkens und Handelns zu verstehen.
    Der starke Einfluss, den ihr Vater seit ihrer Kindheit auf sie ausgeübt hatte, war erst vor Kurzem erschüttert worden. Sie hatte zu viel gesehen, zu viel erlebt um seine Sicht der Dinge hinnehmen zu
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