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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten
Autoren: Sigrid Lenz
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Nahrung oder Wasser betteln würde, ungeachtet des Preises, den es ihn kostete. Zumindest hofften sie es, hofften, zu ihrem Ziel zu kommen, ignorierten die Tatsache, dass sie nichts tun konnten, das er nicht bereits unzählige Male zuvor selbst jemandem angetan hatte. Schließlich kannte er jede ihrer Methoden gut genug, um dagegen kämpfen, um sich gegen innerliche und äußerliche Qualen wappnen zu können.
    Sie hatten Zeit und Geduld auf ihrer Seite, er seine Hoffnungslosigkeit und Todessehnsucht, möglicherweise die einzige Schwäche die sie, sollten sie diese je entdecken, gegen ihn verwenden könnten.
     
    Stunden, Tage, Wochen oder Jahre, es spielte keine Rolle, wie lange er sich bereits in diesem Limbus aufhielt, oder wie lange er noch hier verbringen sollte. Nichts würde ihn hier erreichen, nichts konnte ihn berühren. Er würde ausharren, solange er dazu gezwungen war. Er war allein mit den Dämonen seiner persönlichen Hölle.
    War es wirklich noch nicht so lange her, dass seine Gedanken der Freundlichkeit seiner Nachbarin und der Ruppigkeit ihres Sohnes galten? Er hatte es geschafft, die quälenden Erinnerungen wegzuschließen, ihnen keinen Raum mehr in seinem Leben zu gewähren, sie und ihre Vorwürfe in Schach zu halten.
    Luke schloss die Augen obwohl es keinen Unterschied machte, denn die Pforte, hinter, der er sie gefangen gehalten hatte, war gewaltsam geöffnet worden. Geöffnet von Menschen, die ihm vertraut und die er enttäuscht hatte, von Menschen, die ihr Leben für ihn gegeben, die er auf seinem Gewissen hatte.
    Und mehr als jeder körperliche Schmerz peinigten ihn ihre Gesichter, quälten ihn ihre stummen Fragen.
    Minuten, Stunden oder Tage, wie lange es dieses Mal dauerte, konnte er nicht sagen. Und doch wusste er, dass, sobald sie seine Zelle wieder öffneten, sobald sich seine Augen an das ungewohnte Licht angepasst hatten, der Überlebensinstinkt ihn dazu zwingen werde, jeden Tropfen Flüssigkeit aufzusaugen, dessen er habhaft werden könnte, jedwede Nahrung herunter zu schlingen, die seinem Körper erlaubte, noch einen unerwünschten Moment länger zu existieren.
    Sein Training, seine Stärke oder seine Sturheit gewährten es ihm nicht, aufzugeben, nicht, solange sich noch etwas in ihm dagegen aufbäumte, solange er seine Schuld noch nicht abgetragen hatte.
    Die Finsternis war undurchdringlich, kein Laut unterbrach die Stille, die wie ein schweres Gewicht auf ihm ruhte. Sein Mund fühlte sich trocken an, das Schlucken schmerzte, und in seinen Augen brannten zurückgehaltene Tränen.
    Er hatte es verdient, vielleicht war das die Art kosmischer Gerechtigkeit mit der er hätte rechnen müssen. Jedes Mal, wenn er jemandem bewusst Schmerzen zugefügt, ihn gequält hatte in Ausübung seiner Pflicht oder dessen, was er dafür gehalten hatte. Vielleicht war auch das ein Teil der Rechnung, die eine höhere Macht für ihn ausgestellt hatte.
    Die Menschen, die er hatte sterben sehen… er schluckte trocken. Die Wunden waren noch zu frisch, zu schmerzhaft, ihr Tod zu ungerecht, zu brutal, als dass er sich damit abfinden konnte.
    Er blinzelte ins Nichts. Er würde nicht weinen, weder die Flüssigkeit, noch die Mineralien würde er verlieren, nicht auf diese Weise.
    Seine Augenlider flatterten. Die Dunkelheit würde nicht weichen. Gedachte Bilder erhellten sie für Momente, Carlys Augen, ihr Haar, ihr Gesichtsausdruck, die unausgesprochene Frage in ihrem Gesicht. Seine Phantasie gaukelte sie ihm vor, nur um es ihm noch unerträglicher zu machen, in der Schwärze auszuharren.
     
    Er konnte das Flattern nicht stoppen, es breitete sich aus, wurde zu einem Beben, das seinen Körper erfasste. Er zitterte, nicht vor Kälte, nicht vor Angst, sondern in plötzlicher Erwartung. Irgendetwas geschah mit ihm, veränderte sich um ihn herum. Die einzige Frage blieb, ob es sich um eine Täuschung seiner Sinne handelte, um einen Beweis, dass sein Verstand endlich bereit war zu kapitulieren, oder ob sich der fensterlose Raum wirklich auf überirdische Weise erhellte, ohne wirklich hell zu werden, ob die Konturen, die er wahrnahm, Wirklichkeit oder Traumbilder waren.
    Er bewegte die trockenen Lippen, bemühte sich, seiner ausgedörrten Kehle einen Laut zu entlocken, doch es gelang ihm nicht.
    Ihm gegenüber begann sich in den Schatten eine Gestalt abzuzeichnen, eine Bewegung den Raum auszufüllen.
    Der Atem stockte ihm, und Luke beugte sich unwillkürlich vor, versuchte Klarheit in das Bild zu bringen, das sich noch
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