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Diplomat Im Abseits

Titel: Diplomat Im Abseits
Autoren: Georg R. Kristan
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Verletzungen ließ sich erkennen, daß es sich um eine Frau handelte. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Gliedmaßen zum Teil abgetrennt oder verdreht, die Kleidung nur noch in Resten vorhanden. Das alles zusammengedrückt durch den Abraum aus dem Flußbett.
    Die Blicke der geschockten Männer richteten sich nach Backbord, wo Wiking 5 vorsichtig längsseits kam. Oberkommissar Köhler setzte mit geübtem Sprung zum Bagger über. Es war nicht die erste Wasserleiche, die er sah, aber noch nie hatte er einen so verstümmelten Menschen betrachten müssen. – Wenn die Lebensmüden nur wüßten, wie sie hinterher aussehen, dachte er, würden sie sich nicht so schnell in die Fluten stürzen, um ihrem Dasein ein Ende zu setzen.
    Es war der dritte Wasserleichenfund in diesem Jahr, aber es würde die unangenehmste Bergung werden. Wem sollte er zumuten, die Tote vom Baggerschutt zu befreien und aus dem Stahleimer herauszuholen? – Doch zunächst mußte die Routine anlaufen. Der polizeiliche Formalismus half über die erste Erschütterung hinweg.
    »Hier wird vorerst nichts angerührt«, erklärte Köhler bestimmt. »Vor allem faßt niemand die Tote an. Fotos sind nicht erlaubt. Die Presse hat vorläufig keinen Zutritt. Ich veranlasse alles weitere. Und noch etwas – sprecht darüber nicht auf dem Zehn-Meter-Band, sonst erleben wir bald eine Schiffswallfahrt hierher.« Mit ein paar Sätzen war er wieder auf Wiking 5.
    »Na, was ist los da drüben?« fragte Wachtmeister Schatt gespannt.
    »Eine Frau, ziemlich lädiert – schrecklich anzusehen. Willst du rüber und einen Blick riskieren?«
    Schatt schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein – nicht schon wieder eine Wasserleiche.«
    Über den Polizeifunk auf dem Vier-Meter-Band gab Köhler seinem Chef einen kurzen Bericht.
    »Unser Mann von der Kripo muß her!«
    »Der ist auf einer Dienstbesprechung im Präsidium in Duisburg, fällt also aus«, erwiderte Wernicke. »Aber da das sowieso eine Sache der Bonner Kriminalpolizei wird, schließe ich mich gleich mit der Hauptstelle kurz. Wiking 5 kann die Leute dann übersetzen – später auch die Zinkwanne. Den Bestatter werde ich sofort informieren. Die Leiche muß zum Stiftsplatz in die Rechtsmedizin; aber erst, wenn die Kripo ihr Okay gegeben hat.«
     
     
    Über den UNI-Kanal war in der Einsatzleitstelle des Polizeipräsidiums Bonn, also bei CEBI, der computerunterstützten Einsatzleitung, Bearbeitung und Information, die Meldung über den Leichenfund eingegangen. Hier in der Betonburg nahe der Westauffahrt der Konrad-Adenauer-Brücke war man schon einiges gewöhnt, aber die Beamten an den Funktischen wurden heute zum zweiten Mal aufgeschreckt.
    »UNI 81/12 für UNI kommen!« rief ein junger Beamter in das Mikrofon. Der Computer hatte ihm nach einer kurzen Eingabe über den Bildschirm gemeldet, daß der Wagen des 1. Kommissariats mit Kriminalhauptkommissar Walter Freiberg und Hauptmeister Wolfgang Müller an der Adenauerallee im Einsatz war.
    Vor zwei Stunden hatten Dutzende von Anrufern die Einsatzleitung mobil gemacht. In einem Appartementhaus nahe beim Juridicum sei eine Bombe explodiert. Tote und Verletzte lägen auf der Straße herum.
    Feuerwehr, Notarzt, Ambulanzen, Staatsschutz, Mordkommission und Staatsanwaltschaft waren Minuten später vor Ort. Der erste Verdacht, daß sich Terroristen beim Basteln einer Bombe selbst in die Luft gesprengt hätten, hatte sich nicht bestätigt. Die Explosion war im Appartement eines Kaufmanns erfolgt, gegen den ein Ermittlungsverfahren lief. Der Kaufmann war tot, drei Polizisten, ein Rechtsanwalt und mehrere Passanten zum Teil schwer verletzt. In der Wand des Hauses klaffte ein Loch so groß wie ein Scheunentor. Hunderte von Fensterscheiben waren zu Bruch gegangen, die Straße übersät mit Glasscherben und Hausratteilen.
    Der Brandmeister der Feuerwehr hielt eine Verpuffungsexplosion von Benzindämpfen für wahrscheinlich, denn man hatte zwei Benzinkanister vor Ort gefunden. Erkennungsdienst und Brandsachverständige untersuchten die Trümmer, um Spuren zu sichern.
    Hauptmeister der Kriminalpolizei Wolfgang Müller, in Bonner Polizei- und Ganovenkreisen besser als »Lupus« bekannt, hatte sich vom Ort des Geschehens abgesetzt und auf den Beifahrersitz von UNI 81/12 fallen lassen. Er konnte Tote nur ansehen und ertragen, wenn sie noch einigermaßen intakt waren. Das war sein Trauma, von dem alle Kollegen wußten. Aber ohne Augenscheinnahme ging es nun einmal nicht bei
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