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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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Prokrastinationsinstrument seinen Ort erst finden. Es dauert viele Wochen oder Monate, bis man wieder so arbeitsfähig ist wie zur Zeit des Bloggens, Fernsehens oder Twitterns.
Gleich ab morgen alles ganz anders machen. Jeder Mensch braucht zwar, wie wir aus der Gute-Vorsätze-Forschung erfahren, im Schnitt vier bis fünf Anläufe zur Verwirklichung eines Vorsatzes. Klappt es aber nach dem zehnten Mal immer noch nicht, ist das ein Anzeichen dafür, dass der ganze Lösungsansatz verfehlt ist. Vielleicht passt das Kamel wirklich nicht durch das Nadelöhr. Vielleicht genügt es, wenn das Kamel außen um die Nadel herumgeht.

Der äußere Schweinehund
    Überforderung durch die Umwelt
    «Die Nachricht von seinem Tod kam für niemanden in der Nationalversammlung wirklich überraschend. Er war dort vor allem wegen der Schwierigkeiten bekannt, die er hatte, sich ein Bett zu kaufen. Schon vor Monaten hatte er den Kauf beschlossen; doch die Verwirklichung dieser Absicht erwies sich als unmöglich. Die Anekdote wurde gewöhnlich mit einem leisen ironischen Lächeln erzählt. Obwohl es da nichts zu lachen gibt: der Kauf eines Betts stellt einen heutzutage tatsächlich vor große Schwierigkeiten, die in manchen Fällen bis zum Selbstmord führen können. Zunächst muss man sich um die Auslieferung kümmern, das heißt in der Regel, einen halben Tag Urlaub nehmen, mit all den Problemen, die das mit sich bringt. Manchmal kommen die Auslieferer nicht, oder es gelingt ihnen nicht, das Bett durch das Treppenhaus zu befördern, und man kann noch einmal um einen halben Tag Urlaub bitten. Diese Schwierigkeiten wiederholen sich bei sämtlichen Möbelstücken und Haushaltsgeräten, und die Anhäufung von Ärger, die dadurch entsteht, kann bereits genügen, um ein sensibles Wesen ernsthaft zu erschüttern.»
    (Michel Houellebecq: «Ausweitung der Kampfzone»)
    Wenn Sie Besitzer eines der erfolgreichsten Handys des beginnenden Jahrtausends sind, nämlich eines Motorola RAZR der ersten Generation, dann versuchen Sie bitte jetzt, die Tastentöne auszuschalten. Oder die Tastentöne anzuschalten, wenn sie schon aus sind. Alle anderen können in dieser Zeit das Buch durchlesen und vielleicht noch ein eigenes hinterher schreiben. Wir könnten an dieser Stelle eine von Fachleuten erprobte Strategie veröffentlichen, wie auch der Durchschnittsbürger mit der Motorola-Software zurechtkommt.In einem einfachen, bebilderten Dreißig-Schritt-Verfahren könnte man erklären, wieso das so ist mit den Tastentönen und was Expertengremien und Wissenschaftler dazu herausgefunden haben. Man könnte aber auch verkünden, dass Tastentöne viel zu unwichtig und uninteressant sind, als dass man sich mehr als fünfzehn Sekunden damit beschäftigen sollte. Man könnte die Selbstzweifel, die Verzweiflung und den Ärger über die Millionen nicht an- oder ausgeschalteten Tastentöne nicht der Unfähigkeit, dem Unwillen oder der Dummheit der Menschen anlasten, sondern Motorola.
    Und wo wir gerade dabei sind – steckt nicht in viel zu vielen Bereichen des täglichen Lebens ein lästig großes Stück Motorola? Ja. Die Welt ist zu kompliziert. Damit fängt es an, aber leider hört es damit nicht auf, denn zusätzlich wird einem von Beginn an nahegelegt, gefälligst damit zurechtzukommen. Andernfalls wird man zum Verpeiler, woran man auch noch selbst schuld sein soll. Es ist kompliziert, sich einen Studienplan zusammenzustellen, es ist kompliziert, einen Router zu installieren, es ist kompliziert, die Papiere für eine Wohnungsanmietung zusammenzustellen, es ist kompliziert, bei der Deutschen Bahn die gesammelten «Bonus. Punkte» einzulösen, es ist kompliziert, einen verlorenen Hausschlüssel nachmachen zu lassen, es ist kompliziert, sich eine absetzbare Quittung korrekt ausstellen zu lassen, und für den gesamten Kontakt mit Administration und Apparat muss dringend ein beschreibendes Wort erfunden werden, weil «kompliziert» nicht ausreichend die dahinterstehende Bedrohung für das seelische Wohlbefinden durch bunte Briefe wiedergibt.
    Das eigentliche Drama aber ist der äußere Schweinehund. Damit ist nur zum Teil die Kompliziertheit der Welt gemeint, mit der käme man im Einzelnen vermutlich zurecht. Vielmehr ist es die unendliche Vielschichtigkeit der gleichzeitigenAnforderungen, die viele Menschen in Prokrastination und Versagensangst drängt. Der Mitteleuropäer muss Spezialist in mindestens allem sein, um geschmeidig und unversehrt durch das Dickicht der Zwänge
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