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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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mindestens fünf graphische Anzeigen finden, ist gleichzeitig in ein bis drei verschiedenen Chats und unterhält sich zur taktischen Koordination mit sämtlichen Mitspielern per Headset über einen Voicechat. Die Drohkommunikation mit den Feindesgruppen über verschiedene Kanäle ist dabei noch nicht mitgerechnet, ebenso wenig wie das Spiel selbst. Dabei versuchen sich die verschiedenen Teams abzuschießen, mitunter mit Feuerraten von zehn Schuss je Sekunde. Bei vier Spielern je Team innerhalb einer Art Arena kann auf diese Weise eine beeindruckende Zahl von Reizen entstehen, deren korrekte Wahrnehmung, präzise Verarbeitung samt Analyse und richtiger Reaktion darauf überlebensentscheidend ist. Jedenfalls im Spiel. Natürlich trainiert eine solche extreme Reizüberflutung auch und erleichtert so den Umgang mit dem Alltag, der sich seinerseits bereits ungeheuer beschleunigt hat – so die These von Steven Johnson. Die Spieler setzen sich dieser informationsüberfordernden Situation selbst aus und haben daran sogar Spaß. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die gleichen Stress-Belastungen positive oder negative Folgen haben können, je nachdem, ob sie absichtlich und freiwillig oder unter einer Form des Zwanges geschehen.
    Der informationellen Überforderung ist jedoch schwer auszuweichen, wenn man am sozialen Leben teilnehmen möchte. Handy, Internet, klassische Massenmedien wie Radio, Fernsehen, Zeitung und die entsprechenden Mischformen haben die Zahl der Informationen, denen man täglich ausgesetzt ist und auf die man zu reagieren hat, vervielfacht. Für jeden Büroarbeiter mit Computer sind fünfzig Mails im Laufe eines Arbeitstages keine ungewöhnliche Erfahrung, Instant Messenger, Chats und ihre Fortentwicklungen erhöhen die Informationsflut weiter. Zweifellos liegt darin inerster Linie ein enormer, vor allem sozialer Nutzen. Die Erfahrung zeigt aber, dass man die Handhabung neuer Kommunikationsformen erst langwierig erlernen muss. Bis dahin tänzelt das Individuum – ob absichtlich oder nicht – an der Grenze der informationellen Überforderung herum, die in guten Momenten fasziniert und in schlechten Grund genug ist, sich zurückzuziehen und erst einmal nichts zu tun.
    Soziale Überforderung
    Im Schnitt hat jeder Einwohner Deutschlands tagtäglich Kontakt mit beinahe einhundert Menschen; dieser Wert differiert zwischen Stadt und Land und je nach Alter, steigt aber beständig an. Die Erklärung liegt nicht allein in der Veränderung der Gesellschaft, also der zunehmenden Zersplitterung verschiedener sozialer Gruppen wie Familie oder Freundeskreisen, sondern auch in der zunehmenden Mobilität der Menschen. Die wichtigste soziale Veränderung hat natürlich das Internet mit sich gebracht: Es ist leichter geworden, Menschen kennenzulernen und Kontakt zu ihnen zu halten. Das stark erhöhte Kommunikationsaufkommen vermischt sich mit dem derzeit größten Schlagwort des Internets, der Community. Die Gesellschaft beginnt sich im Netz vollständig zu spiegeln – mit allen guten und schlechten Facetten, nur unter veränderten technischen Bedingungen. Social Networks bilden heute einen guten Teil der Kommunikation jüngerer Menschen ab.
    Während aber ebendiese Social Networks viele soziale Funktionen und die Erfüllung von sozialen Bedürfnissen vereinfachen, hat sich eine Welt aufgetan, in der man leicht in die soziale Überforderung geraten kann: Pflege der Freundschaften bei einer dreistelligen Anzahl von Kontakten in zwei, drei verschiedenen Netzwerken kann eine tag- und abendfüllende Aufgabe werden. Das gilt nicht nur für Teenager,sondern ebenso für Berufstätige. Das erfolgreiche deutsche Business-Netzwerk Xing hat Mitglieder mit über 16   000 bestätigten Kontakten. Angenommen, ein solches Mitglied führte mit jedem Kontakt einen kurzen Mailwechsel von insgesamt fünf Minuten, würden mehr als 33   Arbeitswochen mit fünf Tagen je acht Stunden vergehen. Das dürfte selbst denjenigen Berufsberatern als zu viel erscheinen, deren Empfehlungsmantra aus dem Wort «Networking» besteht. Ginge man mit einer Social-Network-Freundschaft wie mit einer herkömmlichen um, man wäre im Nu Vollzeitfreund von Beruf. Geht man gar nicht damit um, bleibt einem nicht nur eine Welt verschlossen – über kurz oder lang verwandelt sich die soziale Überforderung in eine soziale Unterforderung, in kommunikative Einsamkeit.
     
    Seit der digitalen Revolution, ihren ersten Ausbrüchen in den Alltag Ende des 20.  
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