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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, das oft auch mit Hyperaktivität (ADHS) einhergeht und mit allen Varianten etwa ein Zehntel der westlichen Bevölkerung betrifft. Eine Erhebung unter sämtlichen Autoren dieses Buches ergibt eine AD S-Quote von mindestens 50   Prozent, wir können eine Verbindung zwischen dem AD S-Symptom «hohe Ablenkbarkeit» und Prokrastination daher aus eigener Anschauung bestätigen. Andere Symptome lesen sich ebenfalls wie ein Who’s who der Prokrastinationsbegründungen: eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und eine damit verbundene Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, mangelnde (geistige) Ausdauer, häufiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten und Hyperaktivität oder motorische Unruhe. Trotzdem ist umstritten, ob ADS überhaupt eine Krankheit oder Störung ist – oder ein soziales Konstrukt und damit eine bloße Häufung verschiedener, vollkommen normaler Eigenschaften. Jedes durchschnittliche Computerspiel und viele Bürojobs erfordern nämlich Aktivitätsfolgen, die für sich betrachtet aussehen wie eine Mischung der genannten Symptome. Sie werden dann unter dem Namen Multitaskingfähigkeit ins Positive gedreht oder werden sogar erwartet, will man nicht als Sonderling dastehen: Es dürfte mäßig erfolgreich sein, dem Chef zu erklären, dass man beim Arbeiten das Telefon nicht gehört hat, weil man so eine wunderbar niedrige Ablenkbarkeit besitzt.
    Wer prokrastiniert, pflanzt sich erfolgreicher fort.
    Aus der Verhaltensforschung und Evolutionspsychologie stammt eins der schönsten Erklärungsmodelle: Unter Tieren ist Nichtstun keine Untugend, sondern hilft beim Überleben.Die Evolution sorgt dafür, dass Tiere nicht mehr tun als unbedingt nötig. Untersuchungen der Energiesparstrategien von Tieren zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Energiesparen und Fortpflanzungsvorteilen. Beispielsweise kommt die Energie, die Meeresschildkröten einsparen, indem sie einfach nur auf dem Meeresboden herumliegen, später der Menge und Qualität ihrer Eier zugute. Der Nachweis eines größeren Fortpflanzungserfolgs von Prokrastinierern ist allerdings bisher nicht erbracht worden. Vielleicht gibt es doch einen wesentlichen, bisher übersehenen Unterschied zwischen Mensch und Meeresschildkröte.
    Prokrastination als Übersprungshandlung.
    Im Tierreich gibt es ein Phänomen, das der Prokrastination recht nahekommt: die Übersprungshandlung, also das Ausweichen vor einer eigentlich zwingenden Handlung oder Entscheidung. Die Übersprungshandlung galt – durchaus vergleichbar mit der Betrachtung der Prokrastination bei Menschen – als irrational und gewissermaßen als Schaltfehler im Gehirn. Das am häufigsten gebrauchte Beispiel war das der Hähne, die mitten im Kampf beginnen, nicht vorhandene Körner vom Boden zu picken. Über lange Zeit erklärten die Verhaltensbiologen solche Phänomene mit einer Ableitung von Konrad Lorenz’ Instinkttheorie aus den dreißiger Jahren: Die Motivation für die Handlung Kampf sei etwa so groß wie die Motivation für die Handlung Flucht, also werde die Übersprungshandlung Körnerpicken eingeleitet. Die Lorenz-Kritikerin Hanna-Maria Zippelius stellte fest, dass scheinbar irrationale Übersprungshandlungen sehr wohl eine Funktion haben – eine soziale oder kommunikative nämlich: Mit dem Körnerpicken zeigt der Hahn sich selbst und anderen, dass ihm die Bedrohung durch seinen Kontrahenten gering erscheint. Hinzu kommt, dass es durchaus lebenserhaltendund damit sinnvoll sein kann, sich nicht mit Haut und Federn in einen Kampf zu stürzen, sondern diese Tätigkeit erst einmal vor sich herzuschieben.
     
    Wirtschaftswissenschaftler gehen im Unterschied zu Psychotherapeuten davon aus, dass der Mensch sich nicht selbstschädigend verhält, sondern stets bemüht ist, seinen Nutzen zu maximieren. Ihre Theorien zur Erklärung der Prokrastination sind noch relativ neu. Zentral ist dabei der Begriff der Zeitpräferenz: 100   Euro, die man heute haben kann, sind mehr wert als 100   Euro in einem Jahr, heute ausschlafen ist besser als morgen ausschlafen. In Experimenten entscheiden sich die meisten Menschen sogar dann für die 100 sofort zu kassierenden Euro, wenn sie stattdessen in einem Jahr 200   Euro haben könnten. (Schlecht getarnt verbirgt sich hier eine Antwort auf die Frage, warum Sparen und Altersvorsorge nicht ganz so beliebt wie Prassen und Verjuxen sind.) Ein – zumindest für uns schmerzlich einleuchtendes – Beispiel der Verhaltensökonomen Dan
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