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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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liegen erste Ergebnisse vor.
    Einigkeit herrscht darüber, dass zumindest in den bisher untersuchten westlichen Ländern große Arbeitsberge herumgeschoben werden: 75 bis 95   Prozent aller Studenten geben in Umfragen an, wenigstens hin und wieder zu prokrastinieren, fast 50   Prozent verschieben regelmäßig Aufgaben. Bei Studenten nehmen Prokrastinationstätigkeiten etwa ein Drittel der wachen Tageszeit ein. Nach dem Studium bessert sich die Lage, aber um die 20 bis 25   Prozent der Gesamtbevölkerung gelten immer noch als harte Prokrastinierer. Zumindestzwischen den USA, Großbritannien, Australien, Spanien, Peru und Venezuela lassen sich dabei keine Unterschiede feststellen, für andere Länder fehlen die Vergleichsdaten. Die häufig vorgebrachte These «Wenn man erst mal Kinder hat, kann man es sich gar nicht mehr leisten, irgendwas vor sich herzuschieben» wird von den vorhandenen Untersuchungen nicht gestützt; die An- oder Abwesenheit eigener Kinder spielt offenbar keine Rolle.
    «Dass die Sache mit Kindern nicht besser wird, kann ich bestätigen. Kinder sind der beste Grund zum Aufschieben und sind als Rechtfertigung für Aufschieben oder Bleibenlassen auch sozial anerkannt: Was ich trotzdem hinkriege, wird meist umso freudiger begrüßt. Das nutzt sich nach und nach etwas ab und ist auch ungerecht, weil ich im Hinblick auf meine Berufstätigkeit Fremdbetreuung für die Kinder ganz gut organisiert habe. Ich kann jetzt noch 13   Jahre aufschieben, bis auch das letzte Kind aus dem Haus ist.»
    (Angela Leinen)
    Frauen prokrastinieren genauso viel wie Männer, Verheiratete so viel wie Unverheiratete, Akademiker auch nicht mehr als andere Menschen. In Firmen wird mehr aufgeschoben als unter Selbständigen. Ob die Prokrastination insgesamt auf dem Vormarsch ist, lässt sich nicht feststellen, denn erstens fehlt es an historischen Daten, und zweitens wäre selbst bei besserer Datenlage kaum zu entscheiden, ob wirklich immer mehr prokrastiniert wird oder ob sich die Einstellung zur Prokrastination geändert hat. Denkbar wäre zum Beispiel, dass es heute leichter fällt als früher, Aufschiebeprobleme einzugestehen.
    Ein Hang zur Prokrastination kommt und geht nicht wie Schnupfen, sondern scheint ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein. Testpersonen, die man zweimal denselben Prokrastinationstest ausfüllen lässt, erzielen ähnliche Ergebnisse, auch wenn zwischen den beiden Tests Jahre liegen. Aus einer im Jahr 2003 veröffentlichten Zwillingsstudie geht hervor, dass wohl eine genetische Komponente im Spiel ist, denn eineiige Zwillinge ähneln sich in ihren Aufschiebegewohnheiten deutlich stärker als zweieiige. Unter ungünstigen Bedingungen (nämlich vor allem während des Studiums) wird mehr prokrastiniert, aber im Laufe des Lebens ändert sich am Aufschiebeverhalten nicht viel. Im besten Fall entwickelt man gewisse Kompensationsfähigkeiten.
    Über die Ursachen der Prokrastination haben sich die Forscher bisher nicht geeinigt. Bis auf weiteres kann sich daher jeder ein maßgeschneidertes Ursachenportfolio aus den verschiedenen Erklärungsmodellen zusammenstellen. Etwas Besseres als «Prokrastination ist Faulheit» finden wir überall! Aber erwarten Sie sich vom folgenden Überblick nicht zu viel. Die Ursachen für die eigenen Aufschiebegewohnheiten erkennen oder sie zu erkennen glauben nutzt so gut wie gar nichts.
    Prokrastination ist eine schlechte Angewohnheit.
    Für Behavioristen läuft bei der Prokrastination eine «operante Konditionierung» ab: Man verschleppt zwei-, dreimal eine Aufgabe, stellt fest, dass nichts Schlimmes passiert, und verwandelt sich auf der Stelle in einen unverbesserlichen Prokrastinierer. Dass dieser Mechanismus im Prinzip funktionieren könnte, liegt auf der Hand. Ob Prokrastinierer aber tatsächlich auf diese Art gemacht werden, ist nicht überprüft. Dass Prokrastination sich als stabiles Persönlichkeitsmerkmal zeigt, spricht eher gegen die Theorie.
    Wer prokrastiniert, hat Angst vor dem Versagen. Oder vor dem Erfolg.
    Wer prokrastiniert, so lautet die Theorie, der tut das, weil die anstehende Aufgabe Stress und Angst erzeugt. Der Psychologe und Studentenberater Henri Schouwenburg merkt allerdings an, dass Versagensangst gern als
Ausrede
für Prokrastination angeführt wird. Er vermutet, dass Studenten, die unter Versagensangst leiden, besonders häufig Hilfe bei Studentenberatern und Psychotherapeuten suchen und deshalb in der Fachliteratur überrepräsentiert
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