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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
Autoren: Manfred Spitzer
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Tagen. [41]   Man sieht zunächst den permanenten Umbau auf der Dauerbaustelle Gehirn. Im Laufe weniger Tage werden neue Synapsen gebildet (schwarze Pfeile) und bereits vorhandene wieder abgebaut (weiße Pfeile) . Wenn wir lernen (ab Tag 9), werden mehr neue Synapsen gebildet (Auswirkungen im gestrichelten Kasten am Tag 12 und 16, also vier und acht Tage, nachdem im Bereich des dargestellten Ausschnitts des Gehirns etwas gelernt wurde).
    Aufgrund von geistiger Aktivität ändert sich Ihr Gehirn dauernd. Daher haben Sie nicht ein Gehirn, so wie Sie ein Herz oder zwei Nieren haben. Nein, Sie sind Ihr Gehirn! Insofern ist Ihr Gehirn auch Ihr wichtigstes Organ. (Ich weiß, Ihr Kardiologe sagt Ihnen, dass Ihr Herz Ihr wichtigstes Organ ist, und was Ihnen Ihr Urologe sagt, will ich gar nicht weiter thematisieren …) Jeder Facharzt hat sein Organ, und für ihn ist es das wichtigste. Wer hat nun recht? Ich habe recht, denn Ihr Gehirn ist das einzige Organ, bei dessen Transplantation (nehmen wir an, das wäre machbar) Sie lieber Spender als Empfänger wären. Wenn man Ihnen ein neues Herz oder eine neue Niere implantiert, sind Sie danach noch derselbe. Würde man Ihnen jedoch ein Spendergehirn implantieren, würde der Spender nach der Operation aufwachen, in den Spiegel schauen und sich wundern, dass er so aussieht wie Sie. Sie selbst wären nicht mehr existent! Denn was Sie ausmacht, ist nicht die körperliche Hülle, sondern Ihr Leben, Ihre Erfahrungen, und all dies ist in Ihrem Gehirn angesiedelt.
    Der Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz wusste dies auch schon – vor über dreihundert Jahren. Er ersann (etwa zeitgleich mit und unabhängig von Newton) die Integralrechnung, also ein mathematisches Verfahren, bei dem man unendlich viel unendlich Kleines addiert und – dennoch, möchte man sagen – ein klares Ergebnis bekommt: 17,3 zum Beispiel oder 29,7. Er wusste gerade mal, dass es im Kopf ein Gehirn gibt; die Entdeckung der Neuronen und Synapsen hingegen ließ noch zweihundert Jahre auf sich warten. Leibniz stellte fest, dass im Gehirn eine Menge geschieht, von dem wir einerseits nichts mitbekommen, das andererseits aber einen deutlichen Effekt hat. Nichts anderes haben wir gerade dargestellt. Und Leibniz schlussfolgerte, dass die Summe all dieser Summen letztlich nichts weiter ist als unsere Person. Er entdeckte damit auf einen Streich unbewusste Prozesse, die Natur des Lernens und die Natur unserer Individualität, ohne das Gehirn auch nur im Geringsten zu kennen; durch pures Nachdenken und Rechnen. Er war der erste Neuroinformatiker!

2.9 Gottfried Wilhelm Leibniz, der erste Neuroinformatiker, und das Titelblatt der Schrift, in der seine Überlegungen erstmals publiziert wurden
    Ihr Erleben, Fühlen, Denken und Handeln hinterlassen Spuren in Ihrem Gehirn, Gedächtnisspuren, wie man sie seit mehr als hundert Jahren nennt. Wie gut diese Bezeichnung passt, wurde erst durch die moderne Neurowissenschaft so richtig deutlich: dadurch, dass elektrische Impulse über Nervenverbindungen (Synapsen) laufen, verändern sich diese Synapsen und leiten besser. Dies bewirkt langfristig, dass die Impulse sich Trampelpfade durch Ihr Gehirn bahnen. Diese Trampelpfade sind strukturelle Spuren, also keine theoretischen Gebilde. Das Ausbilden der Spuren wird gehirnbiologisch seit Jahrzehnten genauestens untersucht und als Neuroplastizität bezeichnet. Es gibt aber auch einen ganz einfachen Namen dafür: Lernen.
    Wer in seinem Leben viel gelernt (nicht »gepaukt«, sondern wirklich erlebt und verarbeitet) hat, der hat viele Spuren in seinem Gehirn, die es ihm ermöglichen, sich in der Welt zurechtzufinden und effektiv zu handeln. Man sagt auch: Er ist geistig »auf der Höhe«.

Geistiger Abstieg
    Das Wort Demenz leitet sich vom lateinischen de (herab) und mens (Geist) ab. Wörtlich übersetzt, hat es damit die Bedeutung geistiger Abstieg. Dies ist nicht unwichtig, denn wie bei jedem Abstieg hängen dessen Länge und Verlauf davon ab, von wo man absteigt. Wer sich auf einer Sanddüne am Meer befindet und einen Abstieg bis auf Meereshöhe beginnt, der wird nicht sehr lange brauchen. Wer jedoch auf der Spitze des Mount Everest anfängt, wird sich – obwohl er dauernd absteigt – lange Zeit in großer Höhe befinden.
    Ähnlich verhält es sich bei der Demenz. Hier nimmt die geistige Leistungsfähigkeit letztendlich deswegen ab, weil Nervenzellen absterben. Nun wissen wir aus einer ganzen Reihe von Studien zu den
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