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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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[35] das er sich aus seinen Träumen erinnerte, erfüllten ihn plötzlich mit großem Stolz. Während sie sich flüchtig küssten und er in das Elektromobil stieg, überkam ihn für einen Augenblick die Furcht, er könnte den nötigen Charme eingebüßt haben, um sich mit ihr zu messen.
    »Mein lieber Junge – wie groß du geworden bist – schau dich um, ob irgendetwas hinter uns ist…«
    Sie blickte nach rechts und links, beschleunigte dann vorsichtig auf eine Geschwindigkeit von etwa drei Stundenkilometern und flehte Amory an, mit auf den Verkehr aufzupassen; an einer belebten Kreuzung ließ sie ihn aussteigen und vorauslaufen, um ihr wie ein Polizist Zeichen zu geben. Man konnte Beatrice wirklich als achtsame Fahrerin bezeichnen.
    »Du bist wirklich groß geworden – aber du bist immer noch sehr hübsch – du hast dieses schreckliche Alter wohl übersprungen, oder kommt das erst mit sechzehn; vielleicht auch mit vierzehn oder fünfzehn, ich weiß es nie genau; aber du hast es übersprungen.«
    »Mach mich nicht verlegen«, murmelte Amory.
    »Aber mein lieber Junge, was trägst du für seltsame Kleidung! Das sieht ja nach einer kompletten Kombination aus, nicht wahr? Ist deine Unterwäsche auch purpurrot?«
    Amory grunzte unhöflich.
    »Du musst dir bei Brooks ein paar wirklich hübsche Anzüge besorgen. Ach ja, wir müssen heute Abend miteinander reden oder vielleicht morgen Abend. Es geht mir um dein Herz – vermutlich hast du es vernachlässigt – und weißt es gar nicht.«
    Amory stellte fest, wie oberflächlich der Einfluss seiner [36] eigenen Generation auf ihn geblieben war. Abgesehen von einem Anflug von Schüchternheit spürte er, dass die alte zynische Verbundenheit mit seiner Mutter nach wie vor ungebrochen war. Dennoch streifte er in den ersten Tagen durch die Gärten und am Seeufer entlang, als sei er von aller Welt verlassen, und fand eine einschläfernde Befriedigung darin, mit einem der Chauffeure in der Garage »Bull«-Zigaretten zu rauchen.
    Das ganze Anwesen war etwa sechzig Morgen groß und übersät mit alten und neuen Sommerhäuschen, zahlreichen Springbrunnen und weißen Parkbänken, die einem plötzlich von halb überwachsenen Verstecken aus ins Auge fielen; es gab eine große, sich ständig vermehrende Sippe weißer Katzen, welche die unzähligen Blumenbeete nach Beute durchstreiften und nachts plötzlich schemenhaft vor den düsteren Umrissen der Bäume auftauchten. Auf einem dieser schattigen Pfade passte Beatrice schließlich Amory ab, nachdem Mr. Blaine sich wie gewöhnlich für den Abend in seine Privatbibliothek zurückgezogen hatte. Sie warf Amory vor, dass er ihr aus dem Weg gegangen sei, und nahm ihn dann mit auf ein langes Tête-à-tête im Mondschein. Er staunte über ihre Schönheit, die er von ihr geerbt hatte, über ihren vollendeten Hals und ihre Schultern, über die Anmut einer vom Glück verwöhnten Frau von dreißig Jahren.
    »Amory, Liebling«, sagte sie leise und klagend, »ich habe so viel Schweres und Seltsames durchgemacht seit unserer Trennung.«
    »Wirklich, Beatrice?«
    »Als ich meinen letzten Zusammenbruch hatte« – sie sprach davon wie von einer großartigen Heldentat. [37] »Damals sagten mir die Ärzte« – ihre Stimme nahm einen vertraulichen Ton an –, »dass jeder Mann, der unentwegt so viel getrunken hätte wie ich, ein körperliches Wrack wäre, Liebling – und schon unter der Erde läge – längst unter der Erde läge.«
    Amory zuckte zusammen und fragte sich, was wohl Froggy Parker dazu gesagt hätte.
    »Ja«, fuhr Beatrice in dramatischem Ton fort, »ich hatte Träume – wundervolle Visionen.« Sie presste ihre Handflächen auf die Augen. »Ich sah bronzefarbene Flüsse, die gegen marmorne Ufer schwappten, und große Vögel, die durch die Lüfte segelten, bunte Vögel, deren Gefieder in allen Regenbogenfarben schillerte. Ich hörte seltsame Musik und gewaltige Trompetenstöße – was ist?«
    Amory hatte gekichert.
    »Was ist, Amory?«
    »Sprich weiter, habe ich gesagt, Beatrice.«
    »Das war schon alles – es kam nur immer und immer wieder – Gärten von solcher Farbenpracht, dass unsere dagegen trist erscheinen, und wirbelnde, taumelnde Monde, blasser als Wintermonde, goldener als Spätsommermonde –«
    »Geht es dir jetzt wieder gut, Beatrice?«
    »So gut es mir eben gehen kann. Niemand versteht mich, Amory. Ich weiß, das wird dir nichts sagen, aber es ist so – niemand versteht mich.«
    Amory war sehr gerührt. Er umarmte seine
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