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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Mutter und rieb den Kopf liebevoll an ihrer Schulter.
    »Arme Beatrice – meine arme Beatrice.«
    »Erzähl mir etwas von dir, Amory. Hast du zwei schreckliche Jahre hinter dir?«
    [38] Amory überlegte, ob er lügen sollte, und entschied sich dagegen.
    »Nein, Beatrice, es war eigentlich ganz schön. Ich hab mich der Bourgeoisie angepasst. Bin ziemlich konventionell geworden.« Er war selbst überrascht, dass er so etwas sagte, und stellte sich vor, wie erstaunt Froggy geglotzt hätte.
    »Beatrice«, sagte er unvermittelt, »ich möchte woanders zur Schule gehen. Alle gehen jetzt weg von Minneapolis und woanders zur Schule.«
    Beatrice sah ihn erschrocken an. »Aber du bist erst fünfzehn.«
    »Ja, aber alle gehen mit fünfzehn woanders zur Schule, und ich will das auch, Beatrice.«
    Auf Beatrice’ Vorschlag hin wurde das Thema für den Rest des Spaziergangs fallengelassen, doch eine Woche später machte sie ihm eine erfreuliche Mitteilung:
    »Amory, ich habe darüber nachgedacht, und du sollst deinen Willen haben. Wenn du noch immer möchtest, kannst du auf eine andere Schule gehen.«
    »Ja?«
    »Und zwar nach St. Regis in Connecticut.«
    Amory wurde ganz aufgeregt.
    »Es ist alles in die Wege geleitet«, fuhr Beatrice fort. »Es ist besser, wenn du in eine andere Stadt gehst. Ich hätte dich zwar lieber nach Eton und später aufs Christ Church College nach Oxford geschickt, aber im Augenblick scheint mir das undurchführbar – und die Universitätsfrage lassen wir erst einmal auf sich beruhen.«
    »Und was wirst du tun, Beatrice?«
    »Weiß der Himmel. Es scheint mein Schicksal zu sein, [39] mein Leben in diesem Land zu fristen. Dabei bedaure ich keine Sekunde, Amerikanerin zu sein – das tun nur sehr gewöhnliche Menschen –, und ich bin sicher, dass unsere Nation groß im Kommen ist – aber« – sie seufzte – »mein Leben hätte in einer älteren, reiferen Zivilisation dahindämmern sollen, in einem Land voller Grün und herbstlicher Brauntöne…«
    Amory antwortete nicht, und seine Mutter fuhr fort:
    »Was ich bedaure, ist, dass du noch nie im Ausland warst, aber da du ein Mann bist, ist es sicher besser, dass du hier unter dem grimmigen Adler aufwächst – so sagt man doch?«
    Amory stimmte ihr zu. Die japanische Invasion hätte nicht ihre Billigung gefunden.
    »Und wann beginnt die Schule?«
    »Nächsten Monat. Du musst etwas früher Richtung Osten aufbrechen, um deine Aufnahmeprüfung zu machen. Danach hast du eine Woche frei, und ich möchte, dass du dann den Hudson hinauffährst und einen Besuch machst.«
    »Bei wem?«
    »Bei Monsignore Darcy, Amory. Er möchte dich kennenlernen. Er ist in Harrow gewesen und dann in Yale – bevor er Katholik wurde. Ich möchte, dass er mit dir spricht– er könnte dir eine große Hilfe sein…« Sie strich sanft über sein kastanienbraunes Haar. »Lieber Amory, mein lieber Amory…«
    »Liebe Beatrice…«
    Also fuhr Amory Anfang September, ausgerüstet mit »sechs Garnituren Sommerunterwäsche, sechs Garnituren [40] Winterunterwäsche, einem Pullover oder T-Shirt, einer Weste, einem Sommermantel, einem Wintermantel etc.« nach Neuengland, in das Land der Schulen.
    Dort gab es Andover und Exeter, die an ein längst vergangenes Neuengland erinnerten – heute waren sie große demokratische Einrichtungen, fast wie Colleges; St. Mark, Groton, St. Regis, die sich aus Boston und den Knickerbockerfamilien New Yorks rekrutierten; St. Paul mit seinen phantastischen Eisbahnen; Pomfret und St. George, wohlhabend und gut gekleidet; Taft und Hotchkiss, welche die Reichen aus dem Mittelwesten auf die nächste Stufe der sozialen Erfolgsleiter vorbereiteten, nämlich auf Yale; Pawling, Westminster, Choate, Kent und hundert andere; sie alle ließen Jahr für Jahr denselben gutgebauten, konventionellen, eindrucksvollen Typ durch ihre Mühlen laufen; ihr geistiger Stimulus war die Aufnahmeprüfung ins College; ihre vagen Ziele wurden in Hunderten von Pamphleten verbreitet, mit Titeln wie Leitfaden einer gründlichen geistigen, sittlichen und körperlichen Erziehung zu einem christlich denkenden Gentleman, die den jungen Menschen befähigt, die Probleme seiner Zeit und seiner Generation zu meistern, und ihm eine solide Grundlage in den Künsten und Wissenschaften verschafft.
    Amory blieb drei Tage in St. Regis, legte die Prüfung mit spöttischer Selbstsicherheit ab und fuhr dann sofort nach New York, um den versprochenen Besuch abzustatten. Der flüchtige Blick, den er dabei
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