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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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über ihre Niederlage. Würde sie, Sharon, für immer gefangen sein in der Maßlosigkeit ihrer Illusionen?
    Sharon versuchte, diesen Gedanken zu entkommen. Sie drehte das Autoradio auf. Mick Jagger: I Can’t Get No   ...
    Mit der aggressiven Stimme Jaggers, mit seinen aggressiven Gitarrensoli kamen die Gedanken an Massada. Mit Abel war Sharon zu der Felseninsel gefahren, die, über dem Toten Meer aufragend, eine Kultstätte der israelischen Armee, ein Symbol des Widerstandes, des jüdischen Unabhängigkeitswillens war. Müde von einer langen Fahrt im Jeep hockten sie im Schatten einer Mauer. Abel erzählte Sharon die Geschichte des Widerstandes der Zeloten gegen die Römer. Es war Abels Lieblingsgeschichte. An seiner Hand war Sharon durch die Ruinen der Festung gegangen, in der im Jahr 73 fast tausend Zeloten, jüdische Widerstandskämpfer, kollektiven Selbstmord begangen hatten. Damals, im Jahr 70, war Jerusalem gefallen, der Tempel zerstört. Der bewaffnete Widerstand der Judenverschanzte sich in Festungen, die über ganz Judäa verstreut waren, dort hielten die Zeloten monatelang aus. Am längsten widerstanden sie in Massada. Vierhundert Meter über dem Toten Meer hatte Herodes Paläste und Quartiere errichten lassen, Schwimmbäder, Thermen und Kasematten. Drei Jahre lang versuchten die römischen Legionen vergeblich, den Widerstand der Zeloten von Massada zu brechen. Im Jahre 73 gelang es den Römern schließlich, eine Bresche in die Festung zu schlagen. Als sie triumphierend zum alten Palast vordrangen, herrschte dort Totenstille. Schreckliche Einsamkeit. Inmitten ihrer Habe, zwischen Vorräten, die noch lange Zeit gereicht hätten, fanden die Römer neunhundertsechzig Tote. Der Befehlshaber der Zeloten, Eleazar ben Ya’ir, hatte zum kollektiven Selbstmord aufgerufen: »Wir haben schon lange beschlossen, niemals die Sklaven der Römer oder anderer, außer Gottes, zu werden. Nun müssen wir unsere Entschlossenheit durch die Tat beweisen. Wir waren die Ersten, die sich gegen die Römer erhoben, wir werden die Letzten sein, die den Kampf abbrechen. Ich denke, es ist Gott, der uns das Vorrecht gegeben hat, tapfer und als freie Menschen zu sterben, ungleich anderen, die unvorbereitet besiegt wurden. Wir sind frei, einen ehrenvollen Tod mit unseren Lieben zu wählen. Lasst unsere Frauen sterben, bevor sie missbraucht werden, und unsere Kinder, bevor sie die Sklaverei kennen lernen!« Darauf tötete jeder der Zeloten seine Familie, zehn unter ihnen wurden dann durch das Los bestimmt, alle anderen umzubringen. Und dann legte sich jeder Mann an die Seite seines Weibes und seiner Kinder nieder, umschlang sie mit den Armen und bot seine Kehle jenen dar, die dieschreckliche Pflicht zu erfüllen hatten. Die letzten zehn bestimmten wieder durch Los einen, der die übrigen neun töten sollte. Als dieser schließlich fand, dass alle Arbeit getan war, legte er Feuer an den Palast und nahm dann alle Kraft zusammen, um mit seinem Schwert seinen eigenen Körper zu durchbohren.
    Abel erzählte Sharon, dass Anfang der Sechzigerjahre Politiker planten, die jungen Rekruten der Zahal nachts bei Fackelschein auf der Festung Massada den Fahneneid schwören zu lassen:
    Massada wird nicht wieder fallen.
    Zwei Wochen, nachdem Sharon mit Abel auf dem Felsenberg war, riss die Kugel Abel das Gedärm aus dem Bauch.
    Massada. Widerstand? Unabhängigkeit? Steht der Fels nicht viel mehr für Kampf und Tod? Für Heimatlosigkeit? Ruhelosigkeit? Niemand hier in Deutschland, wo man seit mehr als vierzig Jahren äußeren Frieden hatte, niemand hier konnte sich vorstellen, in welcher Unsicherheit die Menschen in Israel lebten.
    Sharon hatte das zum ersten Mal bewusst 1973 erlebt. Der Überfall der Syrer am Jom Kippur, Sharon war ein neunjähriges Kind, sah aber die Aufregung, spürte die Bedrohung, die Angst. Mutters bleiches Gesicht, Großmutter, die zwei Wochen lang bei Sharon und Ruth wohnte, angstvoll verfolgten alle die Kämpfe der Zahal um den Golan. So viele tote Offiziere und Soldaten, fast die gesamte 188.   Panzerbrigade fiel. Diese Ängste vor den Angriffen der Syrer und Ägypter hatten sich Sharon eingeprägt. In den zwei Jahren Dienst bei der Zahal waren sie konkret erlebte Realität geworden.
    Massada. Weites Land, braune, karstige Erde, vonder Sonne verbrannt, die wie eine Verheißung jeden Morgen heraufzog und dann alles verbrannte. Mit Abel saß Sharon auf den Steinen von Massada. Noch nicht zwei Jahre war das her.
    Heute, da sie mit
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