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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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Großmutter liebte außerdem die Bibel. Sharon las schon als kleines Kind mit ihr immer wieder darin.
    Wenn Sharon sich tief in sich selber vergrub, dann wurden die Texte der Bibel lebendig in ihr. Sharon konnte sie aneinanderreihen wie alte Perlen, die man unverhofft wiederfindet, deren Glanz und Schönheit man lange vergessen hatte und nun, beschämt, nicht mehr auf sie verzichten will, bis man sie schließlich wieder vergisst.
    Doch jetzt war es Sharon gegenwärtig: »Wenn ihr mich ruft, wenn ihr kommt und zu mir betet, so erhöre ich euch.« Dies Versprechen nahm Sharon die Furcht. Es half ihr, das Gestrüpp ihrer Gedanken wenigstens notdürftig zu ordnen. »Das sind die Dinge, die ihr tun sollt: Sagt untereinander die Wahrheit.« Gab es nicht viele Wahrheiten? Zumindest zwei: dieWahrheit der Familie von der Heydte und Sharons Wahrheit. Dort war Sharon die Jüdin, die für Geld alles tat. Und diese Wahrheit war tödlich für Alexanders Liebe zu Sharon, tödlich für das Kind Alexanders, das in Sharon lebte.
    Sharons Wahrheit dagegen war die Liebe, an die sie glaubte, seit sie Alexander begegnet war. Sharon war in Israel eine Sabre gewesen, eine Kakteenfrucht, außen stachelig, innen saftig und süß. Die Stacheln waren für den Krieg, zum Überleben im Draußen, noli me tangere.

11
    Beim Erwachen, in dem Zustand zwischen Dasein und Traum, war Sharons erster Gedanke: Rosh Hashanah. Heute ist Rosh Hashanah, heute kommt Alexander zurück. Für Sharon ging nicht nur das Jüdische Jahr zu Ende. Alles, was sie bisher gelebt hatte, erlebt hatte, versank, war zu Ende, konnte nur Vorbereitung gewesen sein auf Alexander. Sharon sah nur noch sein Gesicht, Alexanders Gesicht. Seit sie ihn kannte, suchte sie ihn überall in der Menge. Wie gestern, als sie mit Christin und Pablo zum ersten Mal auf dem Oktoberfest war. Sharon hatte den Kleinen auf ihren Schultern sitzen, von dort deutete er beeindruckt auf einen riesigen Papp-Löwen, der unter einem Zeltdach saß und brüllend seinen Maßkrug stemmte, wobei er auch noch seinen Schwanz hob und senkte. Da, da, schrie Pablo auch beim Luftballonstand, bei dem riesigen Drachen der Geisterbahn. Christin, die neben Sharon ging, wurde immer wieder von ausgelassenen Männern festgehalten, zum Trinken eingeladen. Christin sah bezaubernd aus, für Sharon fremdartig bezaubernd in ledernen Kniebundhosen, einer weißen Spitzenbluse und einem kreisrunden schwarzen Strohhut, den sie hinten auf dem Kopf sitzen hatte, was ihr zusammen mit den alten großen Silberherzen, die in den Ohren baumelten, etwas Freches, Verführerisches gab. Beim Lebkuchenstand wollte ein Mann ihr unbedingtein Herz schenken, ein anderer bestand darauf, sie ins Bierzelt einzuladen. Eigensinnig hielt er Christins Arm fest, Sharon sah, dass Christin hilflos war, dass eine höfliche Absage den Bierseligen nicht erreichte. Sharon stellte Pablo auf die Beine, griff das Handgelenk des Mannes und drehte ihm den Arm rasch nach hinten. Ihm blieb vor Verblüffung der Mund offen. Sakradi, sagte er schließlich und trollte sich.
    Sharon setzte Pablo wieder auf die Schulter, durch diese Mutterrolle war sie offenbar vor Angeboten der Männer geschützt. Sharon bekam einverstandene Blicke junger Frauen, während die Männer sie respektvoll bewundernd anschauten. Doch Sharon suchte und sah in den Hunderten von Gesichtern nur Alexander. Gleichgültig, ob es schöne junge Gesichter waren oder die faltigen müden alter Leute. In jeder Menschengruppe, in jedem Einzelnen suchte Sharon Alexander. Die Illusion, ihn hier zu sehen, ließ für Sharon den Gang über die Wiesn zu einem Abenteuer werden, das ihr Herzklopfen machte. Jeder Schritt, den sie tat, galt Alexander. Es war eine Erwartung, die nicht enttäuscht werden konnte. Die ganze Wiesn, Christin, Pablo, die Musik und die Gerüche formten sich zu einem Orchester, das sich einstimmte, wartend auf den Dirigenten. Wie es sein könnte, mit Alexander über die Wiesn zu gehen – Sharon konnte es sich nicht vorstellen, denn davor stand das Wiedersehen.
    Sie, Sharon, würde ihm endlich alles sagen von ihrer früheren Existenz. Sie wollte ihm auch sagen, dass ihrer beider Kind christlich getauft werden sollte, dass es kein jüdisches Kind werden sollte, das vielleicht mit einem neuen Antisemitismus leben muss.
    Als bei Sharon die Periode ausblieb, hätte sie es am liebsten hinausgeschrien über den Brenner hinweg bis nach Italien ins Valle Argentina. Doch obwohl die Stäbchen beim Test sich
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