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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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sofort rosa färbten, obwohl die Brüste spannten, obwohl der Gynäkologe, bei dem Christin sie angemeldet hatte, ihr gratulierte, obwohl es keinen Zweifel mehr gab, beherrschte sie sich. Sharon wollte Alexanders Augen sehen, seine Hände spüren, seine Haut, sie wollte ihn ganz haben, wenn er es erfuhr. Er sollte in ihr sein, wenn sie ihm sagte, dass sich sein Wunsch erfüllt habe, dass seine Ahnung richtig gewesen sei.
    Christin, die neben Sharon ging, blieb plötzlich stehen, sie sah Sharon an. Christin sagte, dass beim nächsten Oktoberfest sie, Christin, Sharons Kind im Tuch über die Wiesn tragen werde.
     
    Noch jetzt hatte Sharon dies schöne Bild im Kopf. Sie ging zum Fenster, legte die altmodischen Riegel zurück, die beide Fensterrahmen festhielten. Die Blätter der Baumkronen bildeten mit dem Blau des Himmels ein Mosaik, durch das mit der Bewegung der Blätter immer wieder ein Sonnenstrahl durchblitzte. Es würde ein schöner Tag werden, die Morgenluft war rein und frisch, sie umspülte Sharon wie klares Quellwasser. Heute war Rosh Hashanah, heute kam Alexander. Sharon wusch ihr Haar, verglich ihre Kleider, das kurze aus weißer Seide schien ihr für heute das schönste zu sein. Alice hatte es ihr geschenkt. Alice war eine Verwandte Dorins, eine Jüdin, die in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Alice wohnte in München, arbeitete aber, da sie mit Diamanten handelte, häufig in anderen Städten, und Sharon hatte siedaher in den ersten Monaten nicht treffen können. Doch an einem Sabbat hatten sie sich in der Synagoge an der Reichenbachstraße verabredet. Sharon sah Alice, eine junge Frau, Mitte bis Ende Zwanzig. Sie war elegant, trug einen langen Seidentrenchcoat über einem knappen Kleid. Alices grüne Augen sahen Sharon kühl prüfend an. Nein, Alice mochte Israel und die Israelis nicht sonderlich. Sie sagte es höflich bedauernd. Ich bin zwar Jüdin, gläubige Jüdin, sagte Alice, aber ich möchte nicht in Israel leben. Alice war dort gewesen, im Kibbuz Jakov Ashdod. Sie war damals noch keine zwanzig, sie hatte sich gefreut auf Israel, hatte auch bestimmte idealistische Vorstellungen gehabt. Doch dann hatte sie sich mit den Gleichaltrigen, mit den Sabres, nicht vertragen. Ich fand sie laut und arrogant, sagte Alice. Zu Sharon war sie höflich, freundlich, doch es blieb eine Distanz zwischen ihnen.
    Die Synagoge an der Reichenbachstraße erschien Sharon auf den ersten Blick wie ein Theater. Die Frauen auf der Empore sahen teilweise aus wie Fürstinnen in der Operette, so elegant, so wohlfrisiert waren sie. Der Geruch schwerer Parfums hing über Federn, Strass und Spitzen. Die Frauen tuschelten unablässig miteinander, selten, dass eine betete. Sharon hob den Vorhang und schaute durch das Gitter hinunter zu den Männern, die in den Bänken saßen. Sie trugen zum Teil die traditionellen Gebetsmäntel, die Jarmulka und die Gebetsriemen, die Gottes Wort von den Händen in das Herz der Betenden leiteten. Der Rabbiner auf dem Podest bat die Männer um Ruhe. »Das Gärtnerplatztheater«, sagte der Rabbi, »ist ein paar Häuser weiter. Wer Theater machen will, der gehe dorthin. Hier muss jetzt Ruhe einkehren.« Doch vor allem dieKinder scherten sich wenig darum. Sie flitzten zwischen den Männern umher, die ihnen mit unverhülltem Stolz zusahen.
    Sharon sah einen kleinen Jungen, fast noch ein Baby, der die Jarmulka, das Käppchen, auf seinem kahlen Schädel trug. Sein Großvater suchte es immer vor dem Herabgleiten zu bewahren.
    Sharon war aufgefallen, dass vor der Synagoge Polizeiautos standen, Beamte patrouillierten. Sie waren nicht älter als Sharon. Die Enkel der Täter beschützen die Enkel der Opfer, dachte Sharon.
    Sie hatten sich inzwischen öfter getroffen, die zierliche blonde Alice und die große dunkle Sharon. Die Männer und auch die Frauen in der Synagoge schauten ihnen neugierig nach. Eines Tages hatte Alice ein Päckchen dabei. Hier, sagte sie zu Sharon, hier, nimm, ich schenke es dir, mir ist es viel zu groß. Es war ein weißes Seidenkleid mit großen Knöpfen und Taschen, Alice hatte es gekauft, ohne es anzuprobieren, und nun schenkte sie es Sharon, die das nicht verstand. Mochte Alice sie doch? Ja, sagte Alice, würde ich dir sonst etwas schenken?
    Sharon war mit Alice für elf Uhr verabredet. Alice wollte Rosh Hashanah mit ihren Eltern, die strenggläubige Juden waren, in der Synagoge an der Possartstraße feiern. Sharon fuhr den Golf, den die Turbo-Nazi-Oma ihr geliehen hatte, in die
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