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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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Stadt, und die Lizenzen sind in den Händen weniger
Familien, die seit Generationen im Geschäft sind. Wenn einer dieser
Lizenzinhaber Sallie mit dieser Aufgabe betraut hatte, dann war sie eindeutig
auf dem aufsteigenden Ast.
    Sie wurde rot vor Freude. »Ja. Ich
liebe die Arbeit, und ich lerne das Geschäft von der Pike auf. Eines Tages habe
ich vielleicht einen eigenen Laden.«
    Wilkonson kam nun in unsere Nähe. Er
schob sich gerade an einem Stand vorbei, der mit getrockneten und künstlichen
Blumen vollgepackt war. Ich quetschte mich zwischen Sallie und die Eibe; die
Stacheln des Baumes piekten mich in die Wange.
    »Wohnst du immer noch im Globe Hotel?«
    »Ja. Eigentlich könnte ich mir eine
bessere Gegend leisten. Aber ich bin schon so lange dort, daß es mein Zuhause
geworden ist.«
    »Und die Vangs?« Das war eine
vietnamesische Flüchtlingsfamilie, die mein Hauptkontakt gewesen war, als man
mich beauftragte, die eigenartigen Vorfälle im Hotel zu untersuchen.
    »Haben sich ein Haus in Richmond
gekauft.«
    Das war ihr Traum gewesen — ein Traum,
den sie mit vielen Flüchtlingen in der Stadt teilten. »Wie schön für sie. Haben
sie das Restaurant noch?«
    »Sicher. Damit zahlen sie das Haus ab.«
    Wilkonson war hinter Sallie
vorbeigegangen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Das bedeutete vielleicht,
daß die Person, die er suchte, keine Frau war — oder zumindest keine dicke
Frau. Als er ein paar Schritte entfernt war, deutete ich auf ihn und fragte
sie: »Kennst du den Mann?«
    »Den Kerl in der Wildlederjacke?«
    »Ja.«
    Sie kniff die Augen zusammen und
betrachtete ihn prüfend. Ihre Augen verschwanden dabei vollständig in den
fleischigen Falten ihres Gesichtes. »Ich kenne ihn nicht. Aber ich habe ihn
hier schon mal gesehen.«
    »Wann?«
    »Letzte Woche? Vorletzte Woche? Ich
kann es nicht sicher sagen.«
    »Seit wann kaufst du hier ein?«
    »Fast ein Jahr.«
    »Aber er kommt erst seit ein paar
Wochen?«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich
weiß, daß ich ihn diesen Monat ein- oder zweimal gesehen habe. Zuvor kann ich
mich nicht erinnern. Ich weiß aber, daß er kein Stammkunde ist.«
    Ich wollte sie gerade fragen, ob es
eine Möglichkeit gebe, mehr über die Ausweisinhaber zu erfahren, als sie von
einem Mann mit einem mit Bambuspflanzen beladenen Handkarren angerempelt wurde.
Sie taumelte gegen mich, und ich fiel in die Eiben hinein.
    Sallie streckte mir die Hand hin, um
mich hochzuziehen, und warf den Sträuchern einen giftigen Blick zu. »Verdammte
Friedhofsbäume«, sagte sie.
    Die Worte jagten mir einen kleinen
Schauer über den Rücken, eine etwas übertriebene Reaktion, wie mir schien. »Was
für Bäume?« fragte ich.
    »Ich nenne sie Friedhofsbäume. In
Europa pflanzt man sie auf Friedhöfen, so behaupten wenigstens die Menottis.
Ich hab sie auch hier schon auf Gräbern gesehen. Ich glaub’, es stimmt schon.
Ich hasse sie.«
    Ihr Ton war so bösartig, und sie warf
den harmlosen Bäumchen einen solch haßerfüllten Blick zu, daß mir plötzlich
wieder einfiel, daß Sallie Hyde ja eine Mörderin war — verurteilt, eingesperrt
und auf Bewährung freigelassen. Als sie mir wieder in die Augen schaute, muß
sich diese Erinnerung in ihnen gespiegelt haben, denn sie wechselte abrupt das
Thema, schwatzte über ihre neue Arbeit und die Zukunftsaussichten. Dann sagte
sie, daß sie sich allmählich ans Einkaufen machen müsse. Bevor sie wegging, gab
sie mir ihre Karte und bat mich, von mir hören zu lassen. Ich versprach es,
hatte aber meine Zweifel. Wie Dutzende anderer Leute überall in der Stadt hatte
ich auch Sally während meiner Arbeit an einem Fall kennengelernt: Und außer der
Gewalttat, durch die wir uns kennengelernt hatten, hatten wir nichts gemein.
    Es war fast fünf Uhr morgens, und meine
Energie war vollkommen abgeflaut, als Wilkonson endlich dem Ausgang zustrebte.
Auf bleiernen Beinen folgte ich ihm auf die Brannan Street und zu seinem
Ranchero. Dann holte ich den MG. Ein paar Häuserblocks entfernt war eine
Auffahrt auf die Autobahn I-80. An der Auffahrt holte ich den Ranchero ein. Ich
folgte ihm eine Weile, bis ich sah, daß er an der Bundesstraße 101, die in
südlicher Richtung aus der Stadt hinausführt, wieder ab fuhr.
    An der Army Street verließ ich die
Autobahn. Ein endlos langer Arbeitstag war vorüber.
     
     
     

4
     
    Um zehn Uhr morgens traf ich in der
Kanzlei ein. Der Nebel hing nun regungslos und schwer über der Stadt und ließ
die Spielgeräte in dem dreieckigen
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