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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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schenkt sich ein volles Glas Wein ein und nimmt einen ausgiebigen Schluck; danach ist das Glas fast leer. »Hmm? Du hast mich doch noch lieb, Demi – oder?«
    Demi zuckt mit den Schultern. Nur Fay ist in der Lage, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ansonsten könnte er jederzeit das Blaue vom Himmel herunterreden, solange ihm nur jemand zuhört.
    Sie tätschelt ihm die Wange. »Wenn du erst mal ’n Mann bist, Demi, laufen dir eh alle Mädels hinterher. Vielleicht gibt’s ja jetzt schon ’ne Süße, die dir nachguckt.« Sie zwinkert Baz zu.
    »Für mich gibt’s bloß dich, Fay«, antwortet er.
    »Was?! So ’ne hässliche alte Schachtel wie ich?« Fay stößt ein heiseres Lachen aus, halb vom Wein, halb vom Tabak. »Was meinst du, Baz? Betrügt mich dieser Knabe oder nicht?«
    »Demi betrügt nicht«, erwidert Baz. Fays Spielchen interessieren sie nicht. Sie schaut aus dem Fenster und beobachtet, wie die Sonne hinter dem ausgetrockneten Fluss untergeht, diesig und gelb, als ginge es ihr nicht besonders. In fünf Minuten wird sie nicht mehr zu sehen sein, und dann, im Handumdrehen, wird Dunkelheit über dem Barrio liegen. »Fay, was machen wir, wenn wir’s mal geschafft haben?«, fragt Baz.
    Fay trinkt ihr Glas leer und schenkt sich nach. »Vielleicht ziehn wir dann aufs Land. Da gibt’s ’n See, der ist so groß wie der Ozean, mit ’nem Staudamm, länger als die Schnellstraße, und die Landschaft ist richtig grün, Baz.«
    Baz ist jetzt ganz Ohr. »Wir könnten uns ’ne Farm kaufen und vielleicht Tiere halten.«
    Fay bricht wieder in Lachen aus. »Meinst du, ich und Demi würden gute Farmer abgeben? Dauernd Erde umgraben und im Mist rumwühlen! Diese Hände hier haben noch nie Erde umgegraben und sind auch nicht scharf drauf. Nein, vielleicht gehn wir in den Norden, besorgen uns ein hübsches Häuschen, tun unser Essen in die Kühltruhe, liegen, wer weiß, den ganzen Tag am Pool und werden fett dabei.« Und sie beginnt ihnen das Leben auszumalen, das sie eines Tages führen könnten, sie alle drei, fern von allen Barrios der Welt.
    Demi entspannt sich. Er hört Fay gerne zu, wenn sie solche Sachen erzählt. Vielleicht glaubt er ihr, vielleicht auch nicht, jedenfalls wirken ihre Worte beruhigend auf ihn. Auf Baz allerdings nicht. Sie schnappt sich die Blecheimer und geht nach draußen, um Wasser zum Kochen und Waschen zu holen.
    Als sie das ausgetrocknete Flussbett überquert, trifft sie auf Raoul, der anbietet, sie zum Brunnen zu begleiten. »Seid am Plänemachen, wie?«
    »Wie meinste das?«
    »Du, Demi und Fay. Wir andern sind doch eh bloß die Dummen und ihr seid fein raus.« Er zieht sie auf, aber es ist auch ein bisschen ernst gemeint.
    »Glaub bloß nicht, dass hier irgendwer fein raus ist, Raoul. Wenn du lang genug bei uns bleibst, wenn du den Kopf nicht zu hoch trägst und wenn du mit mir und Demi zusammenarbeitest, dann behandelt dich Fay genauso gut wie uns.«
    »Und wenn ich meine große Klappe halte.«
    »Wenn du das tust, wär dir bestimmt die ganze Welt dankbar.«
    Die beiden lachen, spazieren gemächlich an ein paar alten Männern vorüber, die gerade beim Würfelspiel sitzen, und gelangen dann in einen umfriedeten Hof, wo sich der alte Brunnen befindet. Kein Trinkwasser. Wer es trinkt, bekommt davon Schweißausbrüche, aber immerhin kriegt man es fast umsonst. Gutes Wasser gibt’s nur in Flaschen, und es kostet fast genauso viel wie der Wein, den Fay bei sich lagert.
    »Soll ich dir ’n Eimer raufziehen, Baz?« Eine hochgewachsene, spindeldürre Gestalt in einem zerrissenen Unterhemd tritt aus dem Schatten.
    »Kann ihn mir selber raufziehn, Lucien«, antwortet Baz. Das sagt sie jedes Mal, wenn sie kommt, aber es spielt keine Rolle, und das weiß sie.
    »Kost’ dich trotzdem was.«
    Lucien ist ein komischer Kauz. Er lebt zurückgezogen in der Ecke des Hofs. Im Barrio ist er wahrscheinlich der Besitzloseste der Besitzlosen – das Einzige, was er sein Eigen nennen kann, sind die schwärenden Wunden an seinen Armen. Und der einzige Mensch, der sich um ihn kümmert, ist Mama Bali – was Baz lustig findet, weil Lucien so dünn und Mama Bali so dick ist. Er bringt ihr Wasser zum Waschen und Spülen, und sie serviert ihm jeden Tag eine Mahlzeit. Niemand hat was gegen Lucien, und die meisten zahlen die zwei Cent, die er für sein schlechtes Wasser verlangt.
    Baz steckt ihm zwei Münzen zu.
    »Habt wieder einen verloren, Baz, wie?«, sagt er leise. Er hat eine seltsame, zögernde Art zu reden,
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