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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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Raoul. Raoul zog oft mit ihm los und versuchte ihm einiges beizubringen. Und jetzt muss er fort.
    »Du solltest deiner Bande bessere Manieren beibringen«, sagt der Mann, erhebt sich und nimmt Paquetito an der Hand. Dann dreht er sich um und wirft mit unbewegter Miene einen Blick in Richtung Baz und Demi. »Oder findest du’s richtig, dass die zwei dir an deiner eignen Tür hinterherschnüffeln?« Baz drängt sich ein bisschen dichter an Demi heran.
    Fay zuckt mit den Schultern. »Hab sie läuten hörn. Ist schon in Ordnung, dass sie nicht reingekommen sind.« Fay sieht erschöpft aus. Ihr Gesicht hat die gleiche Farbe wie die schmutzige alte Jacke aus weißem Leinen, die sie die ganze Zeit trägt. Ihr Zorn ist völlig verraucht. Bei Fay ist so etwas normal.
    Sie wendet sich ab und steckt die Hände in die Hosentaschen. »Gehn Sie jetzt«, sagt sie zu dem Mann. »Sie haben gekriegt, was Sie wollten. Mehr gibt’s hier nicht zum Mitnehmen. Sollten aber aufpassen, dass das Kind Sie nicht mal verpfeift. Ist nämlich ’n richtiges Plappermaul.«
    Der Mann gibt keine Antwort. Demi und Baz treten zur Seite, als der Schattenmann und Paquetito die Bude verlassen. Paquetito macht große Augen – als ob er irgendetwas anstarrt, das nur er selbst sehen kann. Baz weiß, dass es etwas Schlimmes ist, was hier passiert. Man lässt nicht die Hand los, an der man sich festgehalten hat, andererseits hat bisher vielleicht noch niemand Paquetito an die Hand genommen. Außer dem Mann jetzt, aber das ist etwas anderes.
    Baz schaut weg. Ihr Herz verhärtet sich. Es ist ihr nicht bewusst, aber genau das ist es, was passiert. In einem anderen Leben hätte sie Paquetito vielleicht am Arm gefasst und ihm viel Glück gewünscht, irgendetwas in der Art. Aber sie tut nichts dergleichen. Stattdessen macht sie es Demi nach und schlendert lässig ins Zimmer hinein. Eines hat Fay den beiden beigebracht: Man muss weiterleben, muss sich darauf konzentrieren, den Tag zu überstehen.
    »Und«, sagt Fay, »was habt ihr zwei vorzuweisen?«
    Sie ist weder besonders neugierig noch aufgeregt, aber Demi scheint es nicht zu bemerken. Sein großer Moment ist gekommen. Er plustert sich ein bisschen auf. »Wir ham da was«, antwortet er betont beiläufig.
    Fünf über die Bude verteilte Kinder heben daraufhin den Blick, als wäre Demis Antwort ein unvermutetes kühles Lüftchen. Raoul sitzt an dem alten Tisch gegenüber der Tür; zwei Jungen, Hesus und Sol, nicht viel älter als Baz zu dem Zeitpunkt, als Demi sie gefunden hat, hocken vor dem hohen, schmalen Fenster, von dem aus man flussaufwärts sieht. Hesus sitzt, die Knie umklammernd, auf seinem zusammengerollten Bettzeug auf dem Fußboden, Sol auf der Bank unter dem Fenster. Der lange Giacomo und Miguel stehen neben dem kalten Herd, an dem Fay immer das Essen zubereitet. Miguel mit den halb zusammengekniffenen, wachsamen Augen hält sich weiter hinten im Schatten, fast außer Sicht. Giacomo hat den Mund offen und starrt Demi und Baz an, als wären die zwei plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Giacomo ist einen Kopf größer als die anderen Kinder und hat außerdem breite Schultern. Er ist ungefähr sechzehn, aber Demi meint, sein Verstand sei bei zehn Jahren stehen geblieben. Baz hat nichts gegen Giacomo, bei Miguel allerdings muss sie immer an eine Ratte denken. Sie mag ihn nicht, aber er ist ein schlauer Dieb. Außer Baz gibt es keine Mädchen. Sieben Mitglieder hat die Bande, jetzt, wo Paquetito fort ist.
    »Lass sehn.« Fay hat die Arme verschränkt und blickt flüchtig aus dem Fenster zum ausgetrockneten Fluss.
    »Wenn du’s sehen willst«, antwortet Demi, »musst du erst Bitte sagen. Ich ...«
    Fay schnippt ungeduldig mit den Fingern. »Demi! Zeig mir, was du hast!«
    Stumm reicht er ihr die Schachtel, blickt ihr aber dabei direkt in die Augen, als wollte er sie darauf aufmerksam machen, dass er etwas Besonderes sei, anders als die anderen und auch anders zu behandeln als die anderen.
    »Hübsches Etui«, sagt Fay. Ihre Stimme klingt jetzt ein bisschen anders. Offenbar hat sie Paquetito schon fast vergessen, denkt Baz. Fays Launen sind wie Sommergewitter: Nach zwei Minuten ziehen die Wolken ab und die Sonne scheint wieder. »Mehr habt ihr nicht? Den ganzen Tag unterwegs und bloß so ’ne Schachtel?«
    Wortlos klaubt Baz die zusammengefalteten Geldscheine aus ihren Sneakers hervor und reicht sie ihr. Fay geht die Banknoten flüchtig durch und überschlägt ihren Wert. Dann nickt sie kurz, zum
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