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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba
Autoren: Yael Guiladi
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trennte er seine Gedanken von seinen Gefühlen. Unter keinen
Umständen durfte er zulassen, daß die Furcht sein klares Denken trübte.
Hatte er einen Monat, sechs Monate, ein Jahr Zeit? Das Risiko war so
beängstigend, daß er es für weise hielt, besser nicht danach zu fragen
und so die Festlegung eines unverrückbaren Termins herauszufordern. In
der Zwischenzeit würde vielleicht der Zorn des Kalifen auf seine
Leibärzte schwinden, wichtigere Dinge würden seine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen, und wenn er, Da'ud, bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf
Schwierigkeiten stieß, würde er all seine Gewitztheit aufbringen und
Zeit schinden … Er hatte keine Wahl. Ein treuer Untertan
schlägt seinem Herrscher keine Bitte aus. Er konnte sein Wort nicht
zurücknehmen, ohne die glänzende Zukunft zu gefährden, die zum Greifen
nah vor ihm lag. Er mußte das Risiko eingehen, wie unangemessen hoch es
auch immer schien …
    »Morgen werdet Ihr beim Verwalter des alten Palastes von
Córdoba vorstellig, der die Zahlung Eurer Vergütung in die Wege leiten
wird. Er wird Euch auch freien Zugang zur Palastbibliothek verschaffen,
die zum Nutzen unserer erhabenen Gelehrten in der Stadt verbleiben
soll.«
    Eine beinahe unmerkliche Bewegung des mit Juwelen geschmückten
Zeigefingers des Kalifen gab Da'ud zu verstehen, daß er nun entlassen
war. Mit bemühter Ruhe verließ er den Raum und ging mit festen
Schritten unter den wachsamen Augen der schwarzen Eunuchen, die ihn
begleiteten, durch die vielen riesigen Innenhöfe und eleganten
Torbögen, die aus dem Palastbezirk hinausführten. Erst als er wieder
innerhalb der schützenden Stadtmauern Cordobas war, wagte er, die
selbstbewußte Miene, die er aufgesetzt hatte, ein wenig zu lockern und
die widerstreitenden Gefühle an die Oberfläche zu lassen, die in ihm
tobten. Der Kopf schwirrte ihm beim Gedanken an die Zukunft, die vor
ihm lag, wenn er Erfolg hatte, der Magen drehte sich ihm um vor Furcht,
wenn er an die Folgen eines Scheiterns dachte. Doch allmählich drang
auch der vertraute Anblick der lebendigen Stadt zu seinem Bewußtsein
vor, ihre Geräusche und Gerüche, die so sehr zu ihm gehörten wie die
zarte Oberfläche antiker Manuskripte. Diese Eindrücke ließen seine
innere Unruhe abklingen und brachten ihn in die tröstliche Wirklichkeit
seines früheren Lebens zurück. Doch gerade als er sich seinem Zuhause
näherte, trug die Morgenbrise wieder die kehligen Schreie der
Palastwachen an sein Ohr, die ihre grausigen Schreckensobjekte ringsum
auf dem Marktplatz zur Schau stellten, und noch einmal überliefen ihn
die Schauder der Furcht.
    Als er in die Sackgasse einbog, die zum Haus der Ibn Yatoms
führte, sah er auf der Schwelle die schmale Gestalt seines Vaters, der
ängstlich auf seine Rückkehr harrte. Die beiden umarmten einander in
schweigendem Mitgefühl und sprachlosem Verständnis.
    »Kein Wort von alledem zu deiner Mutter«, warnte Ya'kub seinen
Sohn, wobei aller Stolz, den er über die unerwartete Gunst des Hofes
empfunden hatte, vor dem Wissen über die Bedrohung, die über seinem
Sohn schwebte, geschwunden war. »Ich habe ihr nicht gesagt, wer die
Opfer des Kalifen diesmal waren, um ihr unnötige Sorgen zu ersparen.
Warum sollten wir sie beunruhigen, da doch dein Erfolg nicht in Zweifel
steht? Spiele ihr nur eitel Stolz und Freude vor. Das soll zugleich
deine erste Lektion in der Kunst der Täuschung sein, einer Kunst, die
du dir aneignen mußt, wenn du in den Korridoren der Macht überleben und
gedeihen willst.«

3
    D a'ud ging in die Hocke, reckte den Rücken
gerade und streckte müde die Arme von sich. Seit dem frühen Morgen
kniete er hier in der Bibliothek des Sultans in einer abgeschiedenen
Ecke auf einem Stapel Kissen, war über die in Leder gebundenen
Folianten gebeugt, die sich vor ihm auf einem niedrigen Tisch
auftürmten. Eine Sondergenehmigung erlaubte ihm, die Bibliothek auch an
einem Freitag zu betreten. Nun war er dort allein mit dem alten
wachhabenden Christen in dem großen mit Zedernholz getäfelten Raum.
Eher um der Vollständigkeit willen als in der Hoffnung, irgend etwas
Wichtiges für seine Studien zu erfahren, hatte er begonnen, die
berühmten arabischen Fassungen der Schriften des Hippokrates und des
Galen zu studieren, Übersetzungen, die Hunayn ibn Ishaq und Ali ibn
Rabban al-Tabari vor beinahe einem Jahrhundert in Bagdad angefertigt
hatten. Seit Jahren hatte er sich schon gewünscht, einmal auch nur
einen flüchtigen Blick auf die reich
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