Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Lächeln hervor. »Fitz, mein Junge. Ach, Fitz!«
    Er streckte die Arme aus. Einen Moment lang war ich wie gelähmt, unfähig, mich zu rühren. Ich wusste nicht, was ich fühlte. Dass der alte Mann mich aufgespürt hatte, nach all den Jahren, war erschreckend. Er musste einen Grund haben, etwas anderes, als nur den Wunsch, mich wiederzusehen. Doch ich spürte auch eine Regung der alten Vertrautheit, das Aufflackern von Neugier, das Chade von jeher in mir ausgelöst hatte. Als ich ein Knabe auf der Bocksburg gewesen war, kam sein verstohlener Ruf des Nachts und forderte mich auf, die geheime Treppe zu seinem Reich in dem Turm über meiner Kammer hinaufzusteigen. Dort mischte er seine Gifte und lehrte mich das Geschäft des Meuchelmörders und machte mich unwiderruflich zu seinem Geschöpf. Immer hatte mein Herz schneller geklopft, wenn die geheime Tür aufsprang. Trotz der vielen Jahre und der Schmerzen an Leib und Seele, hatte er immer noch diese Wirkung auf mich. Geheimnisse und die Aussicht auf Abenteuer umgaben ihn.
    So konnte es nicht anders sein, als dass ich seine gebeugten Schultern umfasste und ihn an mich zog. Haut und Knochen. Der alte Mann war nur noch Haut und Knochen, fast so mager wie in meiner Erinnerung an unsere erste Begegnung. Diesmal aber war ich der Eremit in dem zerschlissenen Gewand aus grauer Wolle. Ihn hingegen schmückten königsblaue Hosen und ein Wams in der gleichen Farbe, aber mit unterfütterten Schlitzen in einem Grün, das seinen Augen Tiefe verlieh. Seine Reitstiefel waren aus schwarzem Leder, die weichen Handschuhe ebenfalls. Der grüne Umhang hatte die Farbe der Einsätze in seinem Wams und war mit Pelz verbrämt. An Kragen und Manschetten schäumten weiße Spitzen. Die vielen Narben, die ihn einst dazu gebracht hatten, sich schamvoll vor den Augen der Welt zu verbergen, waren zu hellen Flecken in seinem wettergegerbten Gesicht verblasst. Das weiße Haar hing offen auf seine Schultern und war oberhalb der Stirn zu Locken gedreht. Seine Ohrringe waren mit Smaragden besetzt; ein einzelner Stein blinkte in der Mitte des Goldreifs an seinem Hals.
    Mit einem ironischen Lächeln ließ der alte Assassine meine Musterung über sich ergehen. »Schon gut, Fitz, aber ein Ratgeber der Königin muss seiner Stellung entsprechend auftreten, wenn ihm der Respekt entgegengebracht werden soll, der einem Kanzler Ihrer Majestät gebührt.«
    »Aha.« Ich besann mich auf meine Pflichten als Gastgeber. »Tritt ein, tritt ein. Ich fürchte, mein Heim ist ein wenig bescheidener als das, woran du dich gewöhnt zu haben scheinst, aber dennoch bist du von Herzen willkommen.«
    »Ich bin nicht hier, um an deiner Wohnung herumzukritteln, Junge, ich bin hier, um dich zu sehen.«
    »Junge?«, fragte ich lächelnd und ließ ihn an mir vorbei durch die Tür gehen.
    »Nun ja. Für mich immer, wahrscheinlich. Es ist einer der Vorteile des Alters, dass ich jedermann anreden kann, wie es mir beliebt, und keiner wagt, sich zu beschweren. Ach, du hast immer noch den Wolf, wie ich sehe. Nachtauge, richtig? Etwas in die Jahre gekommen, an das Weiß um die Schnauze erinnere ich mich nicht. Komm her, du bist ein braver Bursche. Fitz, macht es dir etwas aus, mein Pferd zu versorgen? Ich habe den ganzen Vormittag im Sattel gesessen und mein Quartier letzte Nacht war einfach scheußlich. Ich bin ein wenig steif. Und bring bitte die Satteltaschen mit, sei so gut.«
    Er bückte sich, um den Wolf zu kraulen, mit dem Rücken zu mir, überzeugt, dass ich seiner Bitte nachkommen würde. Und ich grinste und tat es. Die Rappstute, die er ritt, war ein erstklassiges Tier, freundlich und fügsam. Es macht immer Vergnügen, sich um ein Tier dieser Klasse zu kümmern. Ich gab ihr Wasser, eine Portion vom Körnerfutter für die Hühner und brachte sie auf die verwaiste Koppel des Ponys. Die Satteltaschen, mit denen ich zum Haus zurückging, waren schwer und eine gluckerte vielversprechend.
    Ich fand Chade in meiner Klause, an meinem Schreibtisch, wo er in meinen Papieren stöberte, als wären es seine. »Ah, du hast sie mitgebracht. Dank dir, Fitz. Das hier, das ist eine Anleitung für das Steinspiel, richtig? Das Krähe dir beigebracht hat, um deine Gedanken von der Gabenstraße abzulenken? Faszinierend. Ich würde sie gern haben, wenn du damit fertig bist.«
    »Wenn du Wert darauf legst.« Mich überkam ein flüchtiges Unbehagen. Er warf mit Worten und Namen um sich, die ich begraben und nie wieder daran gerührt hatte. Krähe. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher