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Die zweite Wirklichkeit

Die zweite Wirklichkeit

Titel: Die zweite Wirklichkeit
Autoren: Vampira VA
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Schatten trat Nick Parker hinter Lilith. Wie Stahlklammern legten sich seine Fäuste um ihre Arme, bogen sie zurück. Hart trieb er ihr das Knie ins Kreuz. Lilith schrie auf.
    Und Landers setzte den Kelch an ihre weit aufgerissenen Lippen!
    *
    Kalt und klebrig rann etwas über Liliths Kinn.
    Aber nicht über ihre Lippen.
    Landers hatte aufgeschrien, war von ihr weggetaumelt. Überrascht von der plötzlichen Wendung hatte Parker seinen Griff gelockert, und Lilith befreite sich daraus, versetzte dem anderen dabei noch einen Stoß, der ihr selbst für eine Sekunde Luft verschaffen mußte.
    Eine Sekunde, die sie nutzte, um zu Landers hinzusehen. Zu Landers - und all den anderen .
    Duncan Luther. Marsha. Und - Esben Storm? Etwas an ihm erschien ihr falsch - aber nicht fremd. Sein Gesicht war maskenhaft. Und darunter lag jenes - Vertraute .
    Landers hielt sich die rechte Wange. Nach verbranntem Fleisch stinkender Rauch kräuselte sich zwischen seinen Fingern hindurch. Duncan stand ihm mit ausgestrecktem Arm gegenüber, in seiner Hand jene Waffe, mit der er Landru verletzt hatte.
    Ein Kreuz .
    »Was tut ihr hier?« entfuhr es Lilith. Ihre Stimme wankte bebend hin und her zwischen Erschrecken, Erstaunen und Freude. »Wie kommt ihr hierher?«
    Wie zufällig fing sie gerade in diesem Moment Esben Storms dunklen Blick auf, jenes Mannes, der Pfade kannte, die durch eine Welt führten, die jedem Weißen verschlossen bleiben mußte - die Traumzeit.
    »Vorsicht, Lilith!«
    Marsha hatte ihr die Warnung zugerufen. Lilith reagierte reflexartig. Sie duckte sich und spürte den Luftzug, in dem Nick Parkers Schlag über sie hinwegging.
    Aus der gebückten Stellung ließ Lilith den rechten Fuß nach hinten schnellen. Nick taumelte keuchend zurück, die Hände im Schritt verkrallt.
    Währenddessen hielt Duncan den gebrandmarkten Landers auf Distanz. Jedesmal, wenn der andere vorstoßen wollte, reckte er ihm das Kruzifix entgegen.
    »Wir sollten von hier verschwinden«, sagte Esben Storm ruhig und gelassen. Als hätte in seinen Worten etwas wie eine unterschwellige Aufforderung gelegen, traten Marsha und Duncan zu ihm - und wurden eins mit ihm!
    Die Stimmen aller drei (nur drei? War da nicht noch eine vierte?) sprachen zu Lilith, und mit jedem Wort sah sie in ein anderes Gesicht: Esben, Duncan, Marsha ...
    Sie waren zur Dreiheit geworden.
    »Folge uns, Lilith.«
    Sie griff nach der ausgestreckten Hand der Dreiheit und ließ sich führen.
    Daß die andere Hand im allerletzten Moment, ehe sie den Traumzeitpfad betraten, nach dem Lilienkelch griff, sah sie nicht. Ihre Sinne hatten mit anderen Eindrücken zu tun. Wie schon einmal, als sie sich Esben Storms Führung anvertraut hatte. In ihrem wirklichen Leben.
    Nur im Augenblick ihres Verschwindens vermeinte sie noch etwas zu hören.
    Einen Schrei.
    Den Schrei - eines wütenden Kindes?
    * »Wie komme ich zurück? Ich meine, in jene Welt, in der ich -«, Lilith zögerte einen kurzen Moment, »- zu Hause bin?«
    Sie waren im Haus 333, Paddington Street angelangt, nach einer Wanderung, die Ewigkeiten gedauert - oder zeitlos gewesen sein mochte.
    »Noch nicht«, erwiderte Esben Storm.
    »Was heißt das?«
    »Es ist noch nicht vorbei«, sagte Marsha.
    »Aber ich muß zurück«, beharrte Lilith.
    »Wenn du getan hast, was noch zu tun ist«, erklärte Duncan Luther.
    »Du mußt dir deine Welt erst schaffen«, ergänzte Storm.
    Das Gesicht der Dreiheit veränderte sich wie in einem Morphing-Effekt.
    »Ich muß mir meine Welt erst schaffen?« echote Lilith. »Wie kann ich das?«
    Stumm wies Marsha an ihr vorbei. Lilith drehte sich um und folgte dem Fingerzeig. Duncan deutete auf die Tür zum Keller ihres Elternhauses. Dann ging Storm an ihr vorüber, und Marsha öffnete die Tür.
    »Komm mit«, sagte Duncan.
    Lilith bemühte sich, nicht mehr zu der Gestalt hinzusehen. Ihr wurde fast schwindlig. Leicht abgewandten Blickes trat sie an der Dreiheit vorbei und durch die Tür.
    Dunkelheit lag jenseits der Schwelle wie flüssiger Teer. Lilith meinte, in etwas Zähes hineinzuwaten, kam aber doch voran. Ihre Füße fanden trittsicher auf Stufen Halt, ihre Hand ertastete ein Geländer, das auf eine nach unten führende Wendeltreppe schließen ließ. Schritt um Schritt ging sie tiefer, gefolgt von der Dreiheit.
    Nach einer Weile wich die Finsternis einem rötlichen Schein. Lilith atmete auf. Die Sichtweise war ihr vertraut. Und allein dieses Gefühl bescherte ihr ein wenig Beruhigung.
    Die Treppe schien endlos.
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