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Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Titel: Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
Autoren: Robert Leeson
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Feder. Ich duckte und wand mich, wich zur Seite und sprang nach vorn
und schrie, ob er mich traf oder nicht. Seine Wut machte ihn dumm, je mehr ich
brüllte, desto lieber war es ihm.
    Ab und zu jedoch ist auch der
gewandteste Fuß nicht schnell genug. Dann trieb er seine Beute in die Ecke und
schlug mich fast bis zur Bewußtlosigkeit. Wenn ich schreckliche Schmerzen
hatte, weinte ich leise, und wenn mein Meister die belohnenden Schreie
vermißte, drosch er auf mich ein, bis sein Arm erlahmte. Nachdem er mich einmal
blutig geschlagen hatte, gingen die Gesellen zum Innungsmeister und reichten
eine Beschwerde ein. Die Innung lud den jungen Oakleigh vor und hörte sich
beide Seiten der Angelegenheit an. Sie sagten ihm mit dem gehörigen Ernst, daß
er mich als seinen Lehrling schlagen könnte — das war im Vertrag festgelegt.
Aber er müsse es „vernünftig“ tun, und damit gingen sie und der junge Oakleigh
zum Essen aus.
    Doch danach ließ mich der
Meister eine Weile in Ruhe. Er schien mich nicht sehen zu wollen. Was ebenso
gut war, denn zu jener Zeit nahm mein Schicksal eine Wende zum Guten, und es
war besser, daß er nichts davon wußte.
    Im Sommer hatte Tilly, die etwa
so alt war wie ich, angefangen, mir das Lesen beizubringen, das sie selbst in
der Elementarschule gelernt hatte.
    Wir besaßen zusammen nur zwei
Bücher. Das eine war „So macht es Fräulein Susanne“, ein schmales Bändchen mit
guten Ratschlägen für junge Damen. Das zweite war ein zerfetztes Exemplar des Newgate
Kalenders, das einem der Gesellen gehörte. So bekamen wir gute Ratschläge für
das, was wir tun sollten, und wurden reichlich vor allem gewarnt, was passieren
würde, wenn wir es nicht täten. Obwohl, nach dem Kalender zu urteilen, den wir
viel mehr lasen als „Fräulein Susanne“, gutes Betragen einen nicht immer vor
dem Galgen rettete.
    An ruhigen Nachmittagen setzten
wir uns vor dem Abendessen auf die Treppe, die zum Dachboden über der Werkstatt
führte. Dort sah man uns nicht hinter den Holzstapeln. Wir hockten
zusammengekauert in der Dämmerung und waren in die Buchstaben vertieft, die ich
rasch lernte, und später lasen wir einander vor. Manchmal saßen wir, müde vom
Lesen, die Arme umeinander geschlungen und sprachen darüber, was wir werden
würden, wenn wir erwachsen wären. Sie würde eine vornehme Dame sein und in der
Kutsche des Oberbürgermeisters fahren. Und ich würde meine Meisterprüfung als
Leichenbestatter gemacht haben und die Reichen und Berühmten begraben.
    Des Träumens überdrüssig fingen
wir an zu spielen, Zähl- und Ratespiele, und bedienten uns dabei der Finger,
die wir im Halbdunkel mehr fühlten als sahen. Dann kitzelten und kniffen wir
einander, bis unser Keuchen und Kichern den alten John veranlaßten, an den Fuß
der Treppe zu kommen, warnend mit dem Finger zu drohen und uns brüderlich
zuzuzwinkern.
    Mit wenig Beachtung von seiten
des Vaters und viel Beachtung von seiten der Tochter gedieh ich prächtig. Ich
besaß eine Menge Penny- und Vierpennystücke von den Beerdigungen und verbarg
diesen Schatz in einem seidenen Taschentuch, das einzige, was ich von meiner
Mutter hatte. Dann tauschte mir einer der Männer das gesamte Kleingeld in ein
einziges Goldstück ein. Bei all diesen Erfolgen hätte ich eigentlich wissen
sollen, daß mein Glück nicht ewig dauern konnte.
    Tilly und ich wurden
unvorsichtig. An einem heißen Tag kam ich von einem Begräbnis zurück, zu dem
die Männer der Werkstatt gegangen waren. Ich trug meinen schwarzen Samtanzug
und das weiße Rüschenhemd und war etwas benebelt von dem hervorragenden
Madeira, den ich nach dem Begräbnis getrunken hatte, so daß mein Kopf ein wenig
leichter war als der übrige Körper. Ich fand Tilly von der Schule heimgekommen,
träge vor Hitze und Langeweile. Wir hatten keine Bücher zum Lesen, steuerten
aber dennoch gradewegs auf die Treppe zu und machten es uns gemütlich. Tilly
machte sich über mein Begräbnisjackett lustig und öffnete es, um mich besser
zwischen den Rippen kitzeln zu können. Das Kitzeln wurde zum Ringen, und als
unsere Gesichter beieinander und Tillys Lippen auf meinen lagen, küßte ich sie.
Wir balgten und rangen, keuchten und kicherten in der Stille des alten
Gebäudes, in dem es nach Hobelspänen und Lack roch. Ich kann mich an diese
Seligkeit erinnern, als wäre es gestern. Nach einer guten Hand Karten eine
schlechte. Ich wurde beim Hosenbund gepackt und in die Luft geschleudert und
dann grob auf den Werkstattboden
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