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Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Titel: Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
Autoren: Robert Leeson
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neben dem
Kutscher auf, als er anhielt. Er warf einen Blick auf mein schmutziges,
tränenverschmiertes Gesicht, die Segeltuchjacke und zerfetzten Strümpfe und
langte aus, um mich auf die Straße zurückzustoßen. Doch ich schob ihm
blitzschnell mein wertvolles Half-Guinea-Stück hin. Er nahm es, ohne mit der
Wimper zu zucken und sagte, daß ich in einer Stunde wiederkommen sollte, und er
mich nach Bristol mitnehmen werde. Ich setzte an, ihn zu fragen, was ich von
einer Half-Guinea rausbekäme, doch er schnauzte mich derartig an, daß ich
plötzlich an den jungen Oakleigh denken mußte und rückwärts von der Kutsche
hinunterfiel. Ich konnte von Glück sagen, daß ich auf beiden Füßen landete.
    Ich ging durch die Stadt, damit
die Zeit verstriche, was nicht klug war. Ich wußte bald, daß ich beobachtet
wurde, und wahrhaftig, als ich über die Schulter zurückschielte, erhaschte ich
einen Blick von zwei Männern, die hinter mir herschlenderten. Einer zeigte auf
mich. Ich wandte mich nach links, ging ein Gäßchen hinunter und versteckte mich
in einem Hauseingang. Sie kamen durch denselben Torbogen. Es stimmte zu genau,
um Zufall zu sein. Da sie mich zuerst nicht sahen, beschleunigten sie ihre
Schritte und eilten an meinem Versteck vorbei. Ich gönnte ihnen meinen Anblick
nicht zum zweitenmal, sondern flitzte wieder zur Straße und lief zum Gasthaus
am Marktplatz zurück. Die Kutsche war keineswegs abfahrbereit, so daß jede
Hoffnung vergebens war, mich zwischen dem Gepäck zu verstecken, das auf dem Dach aufgetürmt wurde. Ich duckte mich und
wartete hinter einer Ecke. Meine Verfolger kamen in flottem Trab zurück, standen
da und blickten um sich. Ich kauerte mich in den Schatten. Einer steckte den
Kopf in die Gasthaustür und rief nach Bier. Als der junge Kellner es brachte,
hörte ich den einen sagen:
    „Hast du hier irgendwo ‘nen
Jungen gesehen — sieht aus wie ‘ne Vogelscheuche, alte Jacke, schwarze
Strümpfe?“
    „So einer hing hier grad eben
um die Kutsche rum und wartete darauf, nach Bristol zu fahren. Wer sucht ihn
denn?“
    „Die Rechtsprechung, Mann. Er
hat seinen Meister halb umgebracht und ist dann weggelaufen. Er wird am Seil
des Henkers baumeln, oder wenn er Glück hat, nach Virginia verfrachtet.“
    „Eure Rechtsprechung kann mir
den Buckel runterrutschen“, spottete der Kellner. „Ihr wollt nur eine Belohnung
ergattern, wenn Ihr ihn einfangt. Prämienjäger seid Ihr. Der Teufel soll mich
holen, wenn ich einen Jungen an den Galgen verkaufe.“ Einer der Männer schob
dem Kellner etwas in die Hand. Dessen Benehmen änderte sich.
    „Vielen Dank, Sir. Ja, ich
erinnere mich, ich sah ihn zum Fluß gehen, dort lang.“
    Als die beiden sich davon
machten, sagte der Kellner über die Schulter: „He, du da, hinter der Ecke.
Verdrück dich. Ich weiß, daß du dort bist.“
    „Ich hab für die Kutsche nach
Bristol bezahlt“, flüsterte ich.
    „Dann bedeutet es Bristol
Newgate für dich, Freund, wenn du den Fuß in diese Kutsche setzt. Geh erst
durch die kleinen Seitenstraßen und halte dich dann nach Westen. Sie werden nie
darauf kommen, dir dorthin zu folgen. Wart ein wenig.“
    Er lief in die Wirtschaft
zurück und kam mit einem halben Brot wieder und gab es mir.
    „Viel Glück!“
    „Warum hilfst du mir?“
    „Nun, die Welt war’ halt
besser, wenn alle Meister einen auf den Schädel kriegten. Lauf jetzt!“
    Und das tat ich. Eine Stunde
später versteckte ich mich unter einer Hecke westlich von der Stadt und schlug
mir den Bauch mit dem frischen Brot voll. Ich war so hungrig, daß ich alles mit
einem Dutzend Bissen aufaß. Ich Dummkopf! Es war die letzte gute Mahlzeit für
fast eine Woche. An jenem Nachmittag jedoch, als ich die Straßen verließ und
über die Felder hastete, wo das Gras meinen fast nackten Füßen Wohltat, kam ich
schnell voran. In jener Nacht schlief ich draußen, denn die Luft war warm und der Himmel voller Sterne . Ich träumte vom alten
Oakleigh und der kleinen Tilly, und gerade, als ich meine Arme um sie schlang,
wachte ich auf und umarmte mich selbst. Mein Rücken schmerzte an den Stellen,
an denen die Lumpen festklebten, und keine Tilly war zu sehen. Mir war
furchtbar schwindlig, als ich auf die Füße kam.
    Auf einem Rübenfeld nahm ich
mein Frühstück ein, das einem Jungen mit einem Feinschmeckergaumen wie dem
meinen schwer auf dem Magen lag. Beim Kauen dachte ich angestrengt nach. Den
einen Augenblick war ich ein Lehrling oder doch beinah, mit einem Goldstück
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