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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Levy
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Mein Vater und ich sind uns in nichts einig, er findet meine Arbeit albern, ich die seine wahnsinnig langweilig, kurz, wir ertragen uns nicht. – Haben Sie schon gefrühstückt?«
    »Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Ihrem Vater und meinem Frühstück, Mister Daldry?«
    »Nicht den geringsten.«
    »Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
    »Im Pub am Ende unserer Straße gibt es einen köstlichen Porridge. Wenn Sie mir die Zeit lassen, meine Einkaufstasche abzustellen, die zugegebenermaßen nicht sehr männlich, aber praktisch ist, lade ich Sie ein.«
    »Ich wollte gerade im Hyde Park spazieren gehen«, erwiderte Alice.
    »Mit leerem Magen, bei der Kälte? Das ist keine gute Idee. Gehen wir frühstücken, dann können wir etwas Brot stibitzen und damit anschließend die Enten im Hyde Park füttern. Der Vorteil bei den Enten besteht darin, dass man sich nicht als Weihnachtsmann verkleiden muss, um ihnen eine Freude zu machen.«
    Alice lächelte ihren Nachbarn an und sagte: »Bringen Sie Ihre Einkäufe nach oben. Ich warte hier, dann essen wir einen Porridge und feiern mit den Enten Weihnachten.«
    »Wunderbar«, antwortete Daldry und eilte die Treppe hinauf. »Es dauert nicht lange.«
    Kurz darauf kam er wieder auf die Straße und versuchte, so gut wie möglich, seine Kurzatmigkeit zu verbergen.
    Sie nahmen an einem Tisch am Fenster des Pubs Platz. Daldry bestellte Tee für Alice und Kaffee für sich. Die Kellnerin brachte zwei Portionen Porridge. Daldry bat um einen Korb Brot und versteckte, was Alice sehr amüsierte, sogleich mehrere Scheiben in seiner Tasche.
    »Welche Art Landschaften malen Sie?«
    »Ich male nur völlig unnütze Dinge. Manche Menschen begeistern sich für das Land, das Meer, Ebenen oder Wälder, ich male Kreuzungen.«
    »Kreuzungen?«
    »Genau, Schnittpunkte von Straßen und Alleen. Können Sie sich vorstellen, wie reich an Details das Leben auf einer Kreuzung ist? Die einen laufen, die anderen suchen ihren Weg. Alle Arten von Beförderungsmitteln treffen dort zusammen: Pferdewagen, Automobile, Motor- und Fahrräder, Fußgänger, Bierlieferanten mit ihren Karren, die unterschiedlichsten Männer und Frauen begegnen sich hier, sie stören, ignorieren oder grüßen sich, sie rempeln sich an, beleidigen sich. Eine Kreuzung ist ein faszinierender Ort!«
    »Sie sind wirklich ein eigenartiger Mensch, Mister Daldry.«
    »Mag sein, aber Sie müssen zugeben, dass ein Mohnblumenfeld sterbenslangweilig ist. Zwei Bienen stoßen im Tiefflug zusammen? Gestern habe ich meine Staffelei am Trafalgar Square aufgestellt. Es ist nicht einfach, dort einen Platz zu finden, der einen zufriedenstellenden Ausblick bietet, ohne dass man ständig angestoßen wird, aber inzwischen habe ich Erfahrung, und so war ich am richtigen Ort. Eine Frau, die von einem plötzlichen Regenschauer überrascht wurde und vermutlich ihren lächerlichen Haarknoten in Sicherheit bringen wollte, rannte, ohne nach rechts oder links zu schauen, über die Straße. Ein von zwei Pferden gezogener Karren vollzog ein unglaubliches Manöver, um ihr auszuweichen. Der Kutscher legte großes Geschick an den Tag, denn die Dame kam mit dem Schrecken davon, aber die geladenen Fässer rollten über die Kreuzung, und die Straßenbahn, die aus entgegengesetzter Richtung kam, konnte nicht mehr bremsen. Eines der Fässer explodierte förmlich unter dem Aufprall, und ein Strom von Guinness ergoss sich über das Pflaster. Zwei Trunkenbolde hätten sich fast darüber hergemacht, um ihren Durst zu stillen. Ich erspare Ihnen die Details der Auseinandersetzung zwischen dem Trambahnfahrer und dem Eigentümer des Karrens, wie die Passanten sich einmischten, die Polizisten versuchten, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, ein Taschendieb den Aufruhr nutzte, um sein Geschäft des Tages zu machen, und die Hauptschuldige an dem ganzen Chaos sich auf Zehenspitzen davonschlich und sich für das Durcheinander schämte, das sie durch ihre Unachtsamkeit ausgelöst hatte.«
    »Und all das haben Sie gemalt?«, fragte Alice verblüfft.
    »Nein, nicht sofort, ich habe zunächst nur die Kreuzung festgehalten, es liegt noch viel Arbeit vor mir. Aber ich habe mir alles gemerkt, und das ist das Wichtigste.«
    »Ich bin noch nie darauf gekommen, auf solche Einzelheiten zu achten, wenn ich über die Straße gehe.«
    »Details haben mich von jeher fasziniert, diese kleinen, kaum wahrnehmbaren Geschehnisse um uns herum. Man lernt viel, wenn man die Menschen beobachtet. Drehen Sie sich
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